Erste Schritte
- Ist eine invasive Wundversorgung (Naht, Debridement etc.) überhaupt notwendig?
- Pflasterverband oder Gewebekleber oft ausreichend, teils aufwändige Versorgungen nur im OP möglich
- Wie erfolgt die Lokalanästhesie?
- Weichteilinfiltration vs. Nervenblock (ergänzend zu etwaiger systemischer Analgesie)
- Sind tiefere Strukturen (z.B. Sehnen, Knochen, Nerven) verletzt?
- Allgemein: „Je tiefer, desto OP“. Versorgung von Beugesehnen und Nerven nur in Ausnahmefällen ausserhalb eines OPs!
- Ist eine antibiotische Abdeckung bei (drohender) Wundinfektion notwendig bzw. ein primärer Wundverschluss möglich?
- Bei starker Wundverschmutzung ist primärer Wundverschluss meist nicht sinnvoll
- Bei Tier-/Menschenbissen / potentielle Kontamination: Antibiose!
Tipps
Besondere Fälle, z.B. penetrierendes Trauma, Wund-Packing, Schussverletzungen, Amputationen und Abszesse siehe spezielle Wunden.
Wunddokumentation
- Unfallhergang (Biss, Sturz, Schnitt etc.)
- Ort der Wunde
- Ausmaß, Tiefe, Form der Wunde
- Wundränder glatt/unregelmäßig
- Verletzte Strukturen in der Tiefe
- Kontamination der Wunde
- Wunddokumentation immer mit allgemeinem körperlichen Untersuchungsbefund ergänzen
- Tetanusimpfschutz abfragen und dokumentieren
- Bilddokumentation
- insb. bei potentiell strafrechtlich / juristisch relevanten Befunden erwägen
- Einwilligung Pat. einholen
- Maßstab (z.B. Stift, Maßband) mit aufnehmen
Chirurgisches Besteck
- Skalpell
- Wundversorgungsset
- Nahtmaterial
- Lokalanästhesie
Skalpell
Verschiedene Klingenformen erhältlich (durch Nummern bezeichnet), übliche Wundversorgung meist mit drei Klingen:
- 10er Klinge - „Standardklinge“ mit abgerundeter Spitze für sämtliche Versorgungen
- 15er Klinge - Kleinere Klinge, sonst identisch zur 10er Klinge für filigranere Schnitte
- 11er Klinge - oft als „Fadenmesser“ bezeichnet. Dreieckige Spitze für präzise Stichinzisonen oder zur Entfernung von Nahtmaterial
Wundversorgungsset
- Schere (scharf zum Durchtrennen von Fäden und ggf. Gewebe)
- Pinzetten (anatomisch und chirurgisch)
- chirurgisch: scharfe Zähne zum sicheren/festen Greifen
- anatomisch: vorne geriffelt zum atraumatischen Greifen
- Nadelhalter
- ggf. (Moskito-)Klemme zum Abklemmen von Gefäßen
Wundversorgung
Primäre / geschlossene Wundversorgung
Primäre Wundversorgung ist der umgehende Verschluss der Wunde, z.B. mit einer Hautnaht. Bei Abwesenheit von Kontraindikationen immer eine primäre Wundversorgung anzustreben
Kontraindikation:
- Absolute KI:
- Infizierte Wunden
- Bisswunden (ausser im Gesicht, hier meist primärer Wundverschluss möglich)
- Schusswunden
- Relative KI:
- stark verschmutzte/kontaminierte Wunden
- ältere Wunden
- im Gesicht >24(-48)h nach Verletzung
- periphere Wunden >12h nach Verletzung
- liberalere Zeitintervalle ohne deutlich erhöhtes Infektrisiko möglich, alte „6 Stunden Regel“ überholt
Checkliste primäre Wundversorgung
Vorbereitung:
- Entfernung von Schmuck (Ringe, Piercings)
- vor Wundversorgung zunächst Untersuchung
- pDMS bzgl. Gefäß-/Nervenschäden
- Unterhalb der Hautläsion ggf. (offene) Fraktur?
- Nach Ausschluss von Allergien Reinigung und Desinfektion sowie Lokalanästhesie
- Behaarung rasieren (ausser Augenbraue)
- Spülung der Wunde
- mit VEL über eine Knopfkanüle aus der Tiefer heraus mit sanftem Druck
- Je verschmutzter, desto mehr Spülflüssigkeit!
- keine Wundspülung mit Antiseptika
- Untersuchung der Wunde
- Exploration der gesamten Wunde
- tiefer liegende Strukturen verletzt?
- Fremdköper?
- ggf. Debridement und Wundrandexzision
- nicht an Finger, Zehen oder Gesicht!
- Spannungsfreier Wundverschluss
- z.B. mit Einzelknopfnähten / Klammerverband oder Zugpflaster (z.B. Steri-Strips®)
- Randadaptation mit Subcutan-Nähten falls spannungsfreier Verschluss nicht möglich
Sekundäre / offene Wundversorgung
Indikation:
- ausgedehnte Wundareale mit zerfetzten Wundrändern
- hohe Verschmutzung der Wunde
- Stich-/Bissverletzungen
Checkliste offene Wundversorgung
- Wundreinigung/ -Debridement
- Wundabfluss durch Lasche gewährleisten
- Feucht verbinden (z.B. Lavasept)
- Ruhigstellen
- engmaschige Wundkontrolle und ggf. sekundärer Wundverschluss im Verlauf
Faden- und Nadel
Nahtmaterial
- Fadendurchmesser
- oft nach USP angegeben „X-0“ (je größer die erste Ziffer, desto dünner der Faden)
- Standardfaden für Einzelkopfnaht der Haut: 4-0er Faden (ca. 0,15mm Durchmesser)
- monofile / polyfile Fäden
- Monofilament Faden: „aus einem Stück“
- kann sich nicht „vollsaugen“ - Keime wandern schlechter am Faden entlang
- weniger traumatisch beim Gewebedurchtritt durch glattere Oberfläche
- brüchiger und weniger belastbar als ein Polyfilament-Faden
- Polyfilament Faden: „geflochten“
- sehr belastbar
- Monofilament Faden: „aus einem Stück“
- resorbierbar / nicht-resorbierbar
- resorbierbar
- z.B. Vicryl® und Dexon®: Resorption in ca. 6 Wochen, kaum Gewebereaktion
- Einsatzbereich: Faszien und Muskel, Subcutis
- nicht resorbierbar
- z.B. Prolene®, Ethilon® und Seralon®
- Einsatzbereich: Hautnähte, Intrakutannähte (muss nach Abschluss der Wundheilung entfernt werden)
- resorbierbar
Nadeltypen und -formen
- Nadeltypen
- atraumatisch: Faden im Nadelschaft versenkt (üblicherweise eingesetzt)
- traumatisch (mit Ohr zum Einfädeln des Fadens - in der Notaufnahme seltenst eingesetzt)
- Nadelform
- in der Notaufnahme werden üblicherweise runde, atraumatische Nadeln (Faden bereits in Nadel versenkt) verwendet
- die übliche Nadelform ist rund, dabei füllt die 1/4 Nadel 90°, die 1/2 Naht 180° des Kreisbogens aus etc.
Nahtmaterial zur Wundversorgung (pragmatisch)
Einsatzbereich | Faden + Nadel |
---|---|
Einzelknopf-Hautnaht |
|
Einzelknopf-Hautnaht |
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Subkutan-Naht |
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Schnelle Blutstillung Annaht Thoraxdrainage |
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Lokalanästhetika
Generell Lokalanästhesie der systemischen Analgesie möglichst vorziehen!
Unterschieden werden:
- Infiltrationsanästhesie (lokales Infiltrieren der Wundumgebung durch Lokalanästhetika)
- Leitungsanästhesie (Umspritzen einzelner peripherer Nerven, welche das verletzte Areal sensibel versorgen)
- Kryoanästhesie (Einsprühen eines kleinen Hautareals mit „Eisspray“ für kurzzeitige Anästhesie z.B. für eine Stichinzision bei Abszesseröffnung)
- Regionalanästhesie (Ausschaltung der Schmerzreaktion einzelner Regionen) - zunehmend auch in der Notfallmedizin relevant
Lokalanästhetika - Hintergrund
- Allgemein Ester und Amide (Nomenklatur meist mit Endung „-cain“)
- Unterschiedliche Wirkdauer und -Eintritt
- Vor einer Anwendung muss eine Allergie immer ausgeschlossen werden!
- Eine intravasale Gabe sollte aufgrund der arrythmogenen Wirkung und der Gefahr einer Intoxikation unbedingt vermieden werden!
- Zugabe von Adrenalin (z.B. 0,1mg auf 10ml Lokalanästhetikum) zur Blutstillung durch lokale Vasokonstriktion möglich
- Wirkung in entzündeten Hautarealen (Abszess) oft inadäquat (Leitungsblock oder Kryoanästhesie ggf. besser geeignet)
Wirkstoff | Handelsname | Wirkeintritt / | Konzentration | Maximaldosis |
---|---|---|---|---|
Lidocain | Xylocain® | schnell / | 0,5% (5mg/ml) | 4mg/kg |
Prilocain | Xylonest® | relativ schnell / | 0,5% (5mg/ml) | 6mg/kg |
Mepivacain | Scandicain®, | relativ schnell / | 0,5% (5mg/ml) | 4mg/kg |
Bupivacain | Carbostesin® | langsam / | 0,25% (2,5mg/ml) | <2mg/kg |
Intoxikation mit Lokalanästhetika
Symptome:
- neurologische Symptome:
- Schwindel, Tinnitus, Doppelbilder, verwaschene Sprache, Verwirrung, Metallgeschmack
- (prä-)konvulsive Symptome: Tremor, Shivering, Myoklonien bis hin zu Krampfanfällen
- Zerebrale Depression: Atemdepression/-stillstand
- Kardiale Symptome: Blockbilder, VES bis zu Kammerflimmern/Asystolie
Checkliste V.a. Lokalanästhetika-Intoxikation
- Zufuhr der Lokalanästhetika stoppen
- Monitoring
- Oxygenierung sicherstellen: Sauerstoffgabe! (Hypoxie und Azidose verschlimmern die Symptomatik)
- Antikonvulsive Therapie bei Krampfanfällen (z.B. Midazolam 10mg iv. oder Lorazepam 4mg iv.)
- Lipid-Rescue erwägen bei schwerer Symptomatik (Initial 20% Lipidlösung iv.-Bolus 1ml/kg)
Infiltrationsanästhesie
Übliche Lokalanästhesie zur kleinen Wundversorgung. Anästhesie von Hautarealen durch Infiltration des umliegenden Gewebes. Das Lokalanästhetikum kann intrakutan, subkutan oder intramuskulär infiltriert werden.
Allgemeines Vorgehen:
- Infiltration des Hautareals mit dünner Spritze
- Einspritzen des Lokalanästhetikums nach vorheriger Aspiration mit geringem Druck
- bei mehreren Infiltrationen möglichst durch das bereits infiltrierte Areal
- Ausreichende Einwirkzeit des Lokalanästhetikums bis zur Wundversorgung abwarten!
Potentiell kontaminierte Wunden
Infiltration aus dem Wundinneren heraus obsolet, Keimverschleppung aus kontaminierter Wunde in tiefere Gewebe vermeiden!
- Infiltration erfolgt durch zuvor desinfizierte, intakte Haut
- durch rautenförmige Infiltration kann die Punktion der Haut minimiert werden
Grafik: rautenförmige Infiltration
Infiltration über zwei Punktionen (schwarze Punkte) rautenförmig entlang der gestrichelten Linien von den Wundspitzen in zwei Stichrichtungen
"Saubere" Wunden (Verletzung mit sauberem Gegenstand
- Infiltration aus dem Wundinneren heraus (weitgehend schmerzfrei)
- CAVE: Keimverschleppung aus der Wunde möglich!
Große Wunden mit ausgedehnten / ungleichmäßigen Wundrändern
- Zirkuläre Infiltration des gesamten Wundrandes über mehrere Punktionen, falls nicht alle Abschnitte des Wundrandes mit einer rautenförmigen Punktion (siehe „potentiell kontaminierte Wunden“) erreicht werden
Grafik: Ungleichmäßige Wundränder
- Über mehrere Punktionen (große schwarze Punkte) Wundrand zirkulär infiltrieren, die jeweils nachfolgende Punktion durch ein bereits infiltriertes Areal
Finger-/Zehenblock
Dorsaler Oberst Block
Anästhesie des kompletten, betroffenen Zehs oder Fingers. Punktion sehr schmerzhaft (kleine Nadel verwenden)
- Punktion jeweils dorsal an beiden Seiten der Fingerbasis
- auf jeder Seite Infiltration mit 1-2ml des Lokalanästhetikums (ohne Adrenalinzusatz) dorsal, dann Vorschieben der Nadel auf die plantare Seite (bis ca. 2mm unter Hautniveau) und erneute Infiltration mit 1-2ml
- Nadel wird bei initialer Punktion subcutan zur weiteren Einstichstelle vorgeschoben um ein Depot zu setzten (langsame Injektion!)
- Wirkeintritt abwarten (bis zu 10min)
Grafik: Oberst Leitungsblock
Palmarer Fingerblock
- Anästhesie der palmaren Fingerseite
- Infiltration von ca. 2ml Lokalanästhetikum subkutan in die Grundgliedfalte des betroffenen Finger
- Wirkeintritt teils verzögert aufgrund notwendiger Diffusion des Lokalanästhetikums ins umliegende Gewebe
Nahttechniken
Klappfeld: Nähen / Kleben / Klammern - Entscheidungshilfe
- Hautnaht
- Zeitaufwändig aber gut anpassbar an Wundverhältnisse
- Bei korrekter Durchführung beste Adaptation der Wundränder
- potentiell bessere kosmetische Ergebnisse bei größeren Wunden
- Nahtzug mit ärztlicher Vorstellung verbunden
- Insgesamt Goldstandard - insb. bei ausgedehnten und komplizierten Wunden
- Klammern
- Bei gut adaptierbaren Wundrändern gleiche kosmetische Ergebnisse wie Hautnaht
- Sehr schnell / schmerzärmer
- Klammerentfernung mit ärztlicher Vorstellung verbunden
- Kleben
- Hautkleber (z.B. Fibrinkleber)
- Stabilität des Wundverschlusses eingeschränkt
- kosmetische Ergebnisse bei Belastung der Wunde eher schlechter
- keine Option für größere/tiefere Verletzungen
- CAVE im Bereich der Augen - Verklebung der Augenlieder!
- Klammerpflaster (z.B. Steri-Strip®)
- gute Ergänzung zu Naht/Hautkleber
- schmerzfrei
- keine alleinige Option bei tiefen/großen Wunden
- Kombination mit Sub-/Intracutannaht möglich
Einzelknopfnaht
Standard in der notfallmedizinischen Wundversorgung. Schnell, einfach, gute kosmetische Ergebnisse.
Checkliste Einzelknopfnaht
- Durchstechen von Cutis und Subcuts auf beiden Wundseiten
- Einstich in ausreichendem Abstand zu Wundrand? (je nach Hautstabilität 0,3-0,7cm)
- Adaptation der Haut durch festes Verknoten
- Wundränder sollten spannungsfrei adaptieren ohne gequetscht zu werden
- Abstand zwischen Nahtreihen abhängig von mechanischer Belastung (desto mehr Belastung, desto enger)