Killer
- Konvulsive Hochrisiko-Synkope z.B. bei Arrest/Rhythmusstörung
- Hypoglykämie
- Status epilepticus
- Intrakranielle Blutung
- (Bakterielle) Meningitis
Red Flags
- (Kurze) krampfartige Entäußerungen bei Kreislaufstillstand → Vitalfunktionen prüfen, wenn Symptome enden!
- Status epilepticus
Erste Schritte
Anhaltender Krampfanfall:
- Fokus auf ABC-Stabilisierung
- O2-Gabe (15l/min. über Maske mit Reservoir)
- Schutz vor weiteren Verletzungen
- (bei Z.n. Krampfanfall und Bewusstseinsstörung: Ggf. stabile Seitenlage, Esmarch-Handgriff)
- Orientierender Neuro-Status (Paresen? Pupillenstatus/Herdblick?)
- Fokussierte Anamnese: Epilepsie bekannt? BINTE-Schema (s.unten)
- BGA mit Elektrolyten (falls nicht möglich: zumindest BZ-Messung)
- Medikamentöse Therapie bei Status epilepticus (Detail-Dosierungen s. Tabelle unten)
- Stufe 1: Benzodiazepin iv.: Lorazepam 4mg iv. oder Midazolam 10mg iv. (bei Pat ≥50kg)
- Kein iv-Zugang vorhanden: Midazolam 10mg in. oder im. (Pat. <40kg: 5mg)
- Stufe 2: Antikonvulsiva: Levetiracetam oder Valproat (s. Tabelle unten)
- Stufe 3: Narkoseeinleitung z.B. Propofol und (Es)ketamin (s. unten)
- Stufe 1: Benzodiazepin iv.: Lorazepam 4mg iv. oder Midazolam 10mg iv. (bei Pat ≥50kg)
- Schwangere: V.a. Eklampsie!
- Magnesiumsulfat 10% 40-60ml (ca. 16-24mmol Mg) iv. KI
- + zusätzlich Standard-Therapie wie Status Epilepticus
- Bekannter Alkoholabusus, V.a. (Alkohol-)Entzugsinduzierter Anfall, bzw. V.a. Mangelernährung zusätzlich Thiamin 100mg iv. KI
- Kinder (v.a. <6 J) + Fieber: V.a. Fieberkrampf (meist selbstlimitierend)
- Falls Fieber weiter vorhanden - senken: Paracetamol 15mg/kg iv. / po. oder Ibuprofen 10mg/kg po.
Tipps
- (Fast) jeder anhaltende „Krampfanfall“ in der Notaufnahme ist potenziell bedrohlich und entspricht akut behandlungsbedürftigem Status epilepticus (da häufig bereits prähospital ein- oder mehrfach gekrampft)
- Status Epilepticus: Zeitkritische Therapie! Je schneller therapiert wird, desto höher Chance auf Terminierung des Anfalls.
- Nach Stabilisierung frühzeitig Differenzialdiagnostik! “Echter“ epileptischer Anfall, konvulsive Synkope, dissoziativer Anfall?
- Nach einem sistierten Anfall sollten regelhaft keine Benzodiazepine verabreicht werden, mit Ausnahme nach einem Anfall im Rahmen eines Alkoholentzugs ("Entzugsanfall"), dann Gabe von Lorazepam 2mg iv. (oder z.B. Midazolam 3-4mg iv.)- der Fokus liegt dann auf der Therapie des Entzugssyndrom
Fokus Präklinik
- Status Epilepticus (= fast jeder Anfall, der bei Eintreffen noch besteht): Frühzeitig Benzodiazepine in ausreichender Dosis!
- Differenzierung Epileptischer Anfall vs. konvulsive Synkope v.a. durch Fremdanamnese - erheben + dokumentieren
- Engmaschige Überwachung in postiktaler Phase (bei tiefer Vigilanzminderung optimal mit etCO2 z.B. via Kapno-Nasenbrille)
- Red Flags prüfen, Killer aktiv erwägen
- fast jeder Anfall, der bei Eintreffen noch besteht ist ein Status Epilepticus (>5 Min)
- Erste Schritte, insb.:
- Sauerstoff, Schutz vor Verletzungen, Zugang
- BZ
- Anfall vorbei: Fremdanamnese (Dauer / Anzahl „Zuckungen“ / rasches Erwachen? DD konvulsive Synkope)
- Spezifische Therapie fokussiert
- Postiktale Phase: Überwachen, optimal mit etCO2 (Nasenbrille etc.)
- Status Epilepticus (Übersicht, Pat. >50kg; Details siehe unten)
- Stufe 1: Midazolam 10mg iv. (oder in./im.)
- Stufe 2: Levetiratecam 3000-4500mg falls vorhanden
- Stufe 3: Narkose mit Propofol
- Schwangere: V.a. Eklampsie!
- Magnesiumsulfat 10% 40-60ml (ca. 16-24mmol Mg) iv. KI
- + zusätzlich Standard-Therapie wie Status Epilepticus
- Transportziel: Klinik mit Neurologie, bei Status: Voranmeldung!
Differenzialdiagnosen / Definitionen
Formen
- Generalisierter Anfall
- Komplex-fokaler Anfall (fokaler Anfall mit Bewusstsseinsverlust)
- Einfach-fokaler Anfall (einzelne Körperteile, einer Hirnregion zuordenbar, ohne Bewusstseinsverlust)
- Nicht-konvulsiver Anfall („Absence“)
- Dissoziativer Anfall
Epileptischer Anfall vs. konvulsive Synkope vs. dissoziativer Status
Für einen epileptischen Anfall („echter Krampfanfall") sprechen:
- Postiktale Phase (langsame Reorientierung, wiederholtes Fragen nach Ereignis)
- Typische Anamnese: Bekannte Epilepsie / strukturelle Hirnerkrankung (z.B. Trauma/Blutung/Schlaganfall)
- „Klassischer generalisierter Anfall“ mit rhytmischen Zuckungen der Extremitäten (tonisch-klonisch, meist ≥20 Zuckungen), oft Initialschrei.
- Lateralerer Zungenbiss: Zungenbiss alleine ist für Differenzierung nicht hilfreich; lateraler Zungenbiss spricht (eher) für Krampfanfall.
Für eine konvulsive Synkope sprechen:
- Rasches Wachwerden, keine lange Bewusstlosigkeit
- "10-20 Regel": Weniger als 10 beobachtete „Zuckungen“
- Klassische Trigger eine Synkope (orthostatisch, vasovagal, kardiogen)
Für einen dissoziativen Krampfanfall (siehe unten) sprechen potentiell:
- Wechselhafter Verlauf, teils mit Pausen, teils zwischenzeitlich "normale" Konversation möglich
- Geschlossene, (aktiv) zusammengekniffene Augen
- Unrhythmische, asynchrone (chaotische) Bewegungen
- Reaktion auf Reize (Berührung, Ansprache)
- Wechselnde Intensität der Symptome (spontan oder bei Ablenkung/Schmerzreiz)
- Überstrecken / „stoßende“ Bewegungen des Beckens („Brücke“)
- Hin- und Herwerfen des Kopfes
Bei unklarer Situation: Immer wie epileptischen Anfall / Status Epilepticus behandeln!
Epileptischer Anfall
Häufige Ursachen: BINTE
Status Epilepticus
Definition:
- Ein Anfall >5min. oder
- ≥2 Anfälle ohne zwischenzeitig vollständige Remission der Symptome/Wiedererlangen des normalen Bewusstsseins
Ziel: Raschestmögliches Durchbrechen des akuten Status mit stufenweiser Medikation:
Übersicht gebräuchlicher iv.-Benzodiazepine und Antikonvulsiva bei Status epilepticus
Stufe 1 eines der Präparate wählen | Stufe 2 eines der Präparate wählen | |||
---|---|---|---|---|
Lorazepam | Midazolam | Levetiracetam | Valproat | |
Dosis | 0,1mg/kg (max. 4mg pro Gabe) | 0,2mg/kg (max. 10mg pro Gabe) | 60mg/kg (max. 4500mg) | 40mg/kg (max. 3000mg) |
Dosis als langsamer Bolus iv., | Gesamtdosis als KI über 10min. iv. | |||
40kg | 4mg | 8mg | 2400mg | 1600mg |
50kg | 10mg | 3000mg | 2000mg | |
60kg | 3600mg | 2400mg | ||
70kg | 4200mg | 2800mg | ||
≥80kg | 4500mg | 3000mg |
Bei persistierendem Status Epilepticus trotz ausreichend dosierter Gabe von jeweils einem Präparat der Stufe 1 und Stufe 2:
→ Rücksprache Neurologie: Gabe weiteres Antikonvulsivum oder Eskalation auf Stufe 3?
CAVE: Abwarten ist KEINE Option! (= entweder Antikonvulsivum oder Narkoseeinleitung)
Stufe 3: Narkoseeinleitung + Intubation
Narkoseeinleitung*, a.e. Propofol-basiert, z.B.:
- Propofol (1-)2mg/kg iv.
- + Esketamin 0,5(-1)mg/kg iv.
- + Rocuronium 1,2mg/kg iv.
- Aufrechterhaltung mittels Propofol-Perfusor
Die Leitlinie „Status Epilepticus“ empfiehlt Ketamin erst bei Stufe 4 - dem EEG-gesicherten „superrefraktären“ Status; pragmatisch bietet sich die Kombination aus Propofol/(Es)ketamin jedoch bereits ab Stufe 3 an.
*Bei rein fokalem Anfall ohne Bewusstseinsverlust kann auf Narkose verzichtet werden, ggf. alternative Antiepileptika nach Rücksprache mit Neurologie.
Zustand nach Krampfanfall
Bei Leitsymptom „Krampfanfall“ sind die meisten Patient:innen in der Notaufnahme nicht mehr aktiv krampfend (sonst s. oben zur Therapie Status epilepticus“), sondern im „Zustand nach“. Hier ist ein fokussiertes Vorgehen empfehlenswert.
Checkliste Z.n. Krampfanfall
- Anamnese (besonders wichtig!)
- Epilepsie bekannt? Hinweis auf konvulsive Synkope?
- Trigger (BINTE, s.o.)?
- Neurologische Untersuchung
- Insb. bei komplex-fokalen Krampfanfällen: Postiktales Funktionsdefizit („Todd'sche Parese") vor allem an zuvor fokal krampfender Extremität über Minuten bis Stunden möglich
- Fokussierte Trauma-Untersuchung: Sturz auf den Kopf / SHT? Begleitverletzungen?
- Vorgehen bei bekannter Epilepsie
- Falls häusliche Versorgung gesichert und Trigger nachvollziehbar, Entlassung oft möglich
- Fahrverbot aussprechen und dokumentieren
- Kontrolle bei behandelnder Neurolog:in empfehlen (Anpassung der antikonvulsiven Therapie?)
- Z.n. Status Epilepticus: Meist stationäre Aufnahme sinnvoll
- Vorgehen bei erstmaligem Anfall (bisher nicht bekannte Epilepsie)
- Labordiagnostik:
- initial BGA inkl. Elektrolyte, Blutzucker + Laktat
- „Standardlabor“ (insb. Blutbild, Elektrolyte, Leber/Nierenwerte, Glukose, TSH, CRP + CK)
- CCT (v.a. bei neu aufgetretenem epileptischem Anfall und/oder SHT) oder unklarer fokaler Neurologie (DD: Todd’sche Parese)
- EEG (akut bei DD nonkonvulsiver Status epilepticus), sonst meist im Verlauf
- Sonderfälle:
- Bek. Epilepsie + Z.n. Status → Spiegelbestimmung der eingenommenen Antiepileptika
- Hinweis auf Meningitis/Encephalitis → Lumbalpunktion
- Klinischer Verdacht auf Intoxikation: Anionenlücke (BGA) beachten, weitere Abklärung siehe Intoxikation
- Fahrverbot (z.B. bei Entlassung gegen ärztlichen Rat) unbedingt dokumentieren
- Meist stationäre Aufnahme (inkl. EEG, MRT), ev. auch ambulante Abklärung möglich (Einzelfallentscheidung)
- Labordiagnostik:
Dissoziativer Krampfanfall
Auch: „psychogener Krampfanfall“, „PNES“ (psychogenic non-epileptic seizure), „PNEA“ (psychogenic non-epileptic-attack).
Unterschiedlichste Symptomatik (verschiedenste Subtypen von krampfartigen Entäußerungen bis zu „Erstarrung“, Bewusstseinseinschränkung ebenso variierend) ohne Auffälligkeiten im EEG. Bei einzelnen Patient:innen meist ähnliche, wiederholte Subtypen. Symptomatik von Patient:innen nicht kontrollierbar (nicht „gespielt“!).
Teils, aber nicht immer sind Genese bzw. akute Auslöser (PTBS, Missbrauch in der Vorgeschichte, akut belastende Situationen, frühere Traumata) erhebbar. Bei bekanntem dissoziativen Krampfleiden können in den Unterlagen oder an dem/der Patient:in selbst Hinweise auf die Erkrankung sein (Notfall-Notizen, -Armbänder etc.).
Checkliste V.a. dissoziativer Krampfanfall
- Bei Unklarheit, ob epileptischer oder dissoziativer Anfall: Primär wie epileptischen Anfall behandeln (s. oben)
- "Basics" nicht vergessen:
- Blutzucker-Messung, vBGA
- 12-Kanal-EKG
- Hinweise auf Intoxikation?
- ggf. CT-Bildgebung
- Ruhe in die Situation bringen (ruhige Umgebung, so wenig Personal wie möglich)
- Abschirmen von potentiellen Stressauslösern / Angst-Quellen (z.B. agitierte Angehörige)
- Evtl. kann (insb. bei Patientinnen) auch die reine Anwesenheit von männlichem Personal problematisch sein
- Vertrauenspersonen kontaktieren und einbinden (falls bekannt und erreichbar)
- Frühzeitig Hinzuziehen von Neurologie/Psychiatrie zur weiteren Planung (z.B. Video-EEG zur sicheren Differenzierung)
Weiterführende Literatur und Links
Interessante Links (frei zugänglich)
- Leitlinie Erstmaliger Epileptischer Anfall im Erwachsenenalter (AWMF 2023)
- Leitlinie Status Epilepticus im Erwachsenenalter (AWMF 2020)
- Nerdfall "Dissoziativer Krampfanfall" (Nerdfallmedizin, 2021)
Literatur
- Sauer, R. B., Minnerup, J. & Möddel, G. Epileptischer Anfall des Erwachsenen in der Notaufnahme. Notaufnahme up2date 06, 141–156 (2024).
- DGN. S2k Leitlinie Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter*. AWMF 44, 603–636 (2023).
- Böhm, L. & Fandler, M. Status epilepticus im Erwachsenenalter. Notaufnahme up2date 3, E1–E1 (2021).
- Rosenow, F. & Weber, J. Status epilepticus im Erwachsenenalter, S2k-Leitlinie. AWMF (2020)
- Silbergleit, R., Lowenstein, D., Durkalski, V., Conwit, R. & Investigators, the N. E. T. T. (NETT). RAMPART (Rapid Anticonvulsant Medication Prior to Arrival Trial): A double‐blind randomized clinical trial of the efficacy of intramuscular midazolam versus intravenous lorazepam in the prehospital treatment of status epilepticus by paramedics. Epilepsia 52, 45–47 (2011).
- Alldredge, B. K. et al. A Comparison of Lorazepam, Diazepam, and Placebo for the Treatment of Out-of-Hospital Status Epilepticus. N. Engl. J. Med. 345, 631–637 (2001).