Killer
- Penetrierendes Trauma (insb. Hals, Thorax, Abdomen)
Red Flags
- Verletzte sind oft jung und fit - durch lange Kompensation bleiben Vitalzeichen trotz schwerer Verletzung länger stabil
Tipps
- Penetrierendes Trauma: Äußerlich oft unscheinbare Verletzungen werden initial oft im Ausmaß unterschätzt
- Verletzung durch Waffen: An potentielle Gefahr durch Verletzte:n denken → Eigenschutz! Vorsicht beim Entkleiden (Waffen, Messer etc. in Taschen)
- Indirekte Bissverletzung (Faustschlag gegen Zähne) oft unerkannt - Verletzung der Strecksehne mit septischer Arthritis möglich!
Wundversorgung
Details siehe allgemeine Wundversorgung.
Wundversorgung - Nadel und Faden
Nahtmaterial zur Wundversorgung (pragmatisch)
Einsatzbereich | Faden + Nadel |
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Einzelknopf-Hautnaht |
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Einzelknopf-Hautnaht |
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Subkutan-Naht |
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Schnelle Blutstillung Annaht Thoraxdrainage |
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Lokalanästhetika
Wirkstoff | Handelsname | Wirkeintritt / | Konzentration | Maximaldosis |
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Lidocain | Xylocain® | schnell / | 0,5% (5mg/ml) | 4mg/kg |
Prilocain | Xylonest® | relativ schnell / | 0,5% (5mg/ml) | 6mg/kg |
Mepivacain | Scandicain®, | relativ schnell / | 0,5% (5mg/ml) | 4mg/kg |
Bupivacain | Carbostesin® | langsam / | 0,25% (2,5mg/ml) | <2mg/kg |
Tetanusprophylaxe
Anzahl | saubere, oberflächliche Wunde | sonstige Wunden | ||
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aktiv Impfung | passiv Impfung | aktiv Impfung | passiv Impfung | |
unklar / keine | Ja | Ja | Ja (1) | Ja |
1-2 | Ja | Nein | Ja (1) | Ja |
≥ 3 | Nein (2) | Nein | Nein (3) | Nein |
(1) Im Rahmen der Grundimmunisierung nur, wenn letzte Tetanusimpfung >4 Wochen
(2) aktive Impfung bei sauberen Wunden notwendig, falls letzte Tetanusimpfung vor >10 Jahren
(3) aktive Impfung notwendig, falls letzte Tetanusimpfung vor >5 Jahren
Als „sauber“ gelten Wunden ohne relevante Keimkontamination (Schnitt mit sauberem Messer etc.), Kontamination muss insb. bei älteren Wunden oder Verschmutzung angenommen werden.
Simultanimpfung: Aktivimpfstoff (z.B. Tetanol® ) und Passivimpfstoff (z.B. Tetagam® ) in unterschiedliche Muskeln. Bei unklarem Impfstatus immer Simultanimpfung!
Penetrierende Verletzung
Penetrierende Verletzungen entstehen nach spitzer Gewalteinwirkung, z.B. nach Schuss- oder Stichverletzungen oder Unfällen (Zaunpfahl etc.). Insgesamt sind insb. Schussverletzungen in Deutschland selten, die äusserlich oft unscheinbaren Verletzungen werden daher initial oft im Ausmaß unterschätzt. Insb. penetrierende Verletzungen von Hals, Thorax oder Abdomen: Häufig schwere Weichteilverletzung!
CAVE: An potentielle Gefahr durch aggressive Verletzte:n denken!
Bei massiver Blutung kann zur ersten Stabilisierung die Nutzung von Hämostyptika sinnvoll sein. Beim „Packing“ wird die (z.B. mit Chitosan bedeckte) Binde tief in die Wunde „gestopft“ und diese damit möglichst fest austamponiert. Danach wird diese Binde mit einem Druckverband von außen fixiert.
Stichverletzung
Verletzung abhängig von der Beschaffenheit der Waffe. Verschiebungen der Gewebe schichten entlang des Stichkanals (Kulissenphänomen) - Abschätzung durch Inspektion (oder Sondierung) oft nicht möglich. Bei bekannter Klingenlänge kann oft eine grobe Einschätzung erfolgen. (CAVE: durch „Nachdrücken“ kann die Klinge jedoch einige cm tiefer eindringen).
Achtung: Signifikante intraabdominelle Verletzung kann auch durch CT nicht definitiv ausgeschlossen werden - daher Beobachtung und serielle klinische Untersuchung!
Checkliste Stichverletzung
- Allgemeines Management nach cABCDE
- Keine Sondierung von Wunden in der Notaufnahme! (Verletzung, Keimverschleppung)
- Fremdkörper belassen und ggf. fixieren - notfallmäßige Entfernung in der Notaufnahme nur, wenn zur Behebung einer anderen letalen Bedrohung notwendig (sonst im OP)
- Suche nach übersehenen Stichen (kompletten Körper absuchen)
- Großzügige CT-Diagnostik bei V.a. Gefäß/Nervenschaden oder Stichen in Hals, Thorax oder Abdomen
Schussverletzung
Besonderheiten von Schussverletzungen:
- Äußere Verletzungen oft nur minimal: Immer kompletten, entkleideten Körper (inkl. Achseln, Genitalbereich und behaarter Schädel) nach Ein-/ Austrittswunden absuchen.
- Pneumothorax/Perikarderguss nach thorakaler Verletzung häufig - bedenken!
- Abdominelle Verletzungen haben eine hohe Letalität - größzügige Indikationsstellung zur explorativen Laparotomie!
- Schussverletzungen sind meist kontaminiert, immer antibiotische Prophylaxe und ggf. Débridement
Verletzungsausmaß ist abhängig von verschiedenen Faktoren der Wundballistik.
Wundballistik Details
Projektil (Typ/Konstruktion)
- Vollgeschoss aus Blei (z.B. Luftgewehr)
- Vollmantelgeschoss (Kern aus Blei, Ummantelung mit härterem Metall)
- Wenig Verformung (Militärmunition nach Haager Landkriegsordnung)
- Teilmantelgeschoss (pilzförmige Deformierung)
- Hohe Energieabgabe im Ziel, insb. im Körperinneren (Polizeimunition)
- Teilmantelgeschoss mit Lochspitze (starke Verformung)
- Hohe Energieabgabe im Ziel
Geschossgeschwindigkeit und Schussdistanz sowie Stabilität der Flugbahn
- Deutlich höhere Geschwindigkeit bei Gewehren („Langwaffen“) vgl. Pistolen
- Durch hohe Energie entsteht eine zur Seite gerichtete Druckwelle (Kavitation) insb. bei Hochgeschwindigkeitsgeschossen (Gewehr)
- Taumelneigung und Stabilität der Flugbahn: Pendelbewegungen/Drehungen des Geschosses im Körper vergrößern ggf. Schusskanal
Beschaffenheit des getroffenen Gewebes
Checkliste Schussverletzung
- Allgemeine Versorgung nach cABCDE
- bei schwerer Blutung:
- Extremitäten: Tourniquet anlegen
- Körperstamm etc.: Stabilisierung mit Hämostyptika
- bei schwerer Blutung:
- Erstbeurteilung der Wunde
- Ein- und Austrittsöffnung
- Wundkanal ist oft nicht gerade (Projektil durch Gewebe abgelenkt)
- Einschussöffnung ist meist kleiner als die Ausschussöffnung
- Wundränder der Ausschussöffnung i.d.R. nicht adaptierbar
- Länge des Schusskanals bei vorliegendem Ein- und Ausschuss
- Welche Strukturen/Organe könnten potentiell betroffen sein?
- Permanente Wundhöhle im Schusskanal?
- Welche möglichen inneren Verletzungen können aufgrund der Geschossenergie und -form entstehen?
- Ein- und Austrittsöffnung
- Antibiotische Prophylaxe, z.B. Ampicillin/Sulbactam 3g/8h iv.
- Großzügig CT-Diagnostik zur Suche unerkannter Verletzungen und ggf. Fragmente im Körper (insb. bei Beteiligung von Hals, Thorax oder Abdomen)
Blast Injury
Explosionsverletzungen entstehen durch die schlagartige Freisetzung einer großen Menge von Energie (z.B. Explosion von Sprengkörpern). Dabei wirken verschiedenste Kräfte auf den Körper, die eine Vielzahl von Verletzungsmustern erzeugen können.
Die Folgen einer Explosionsverletzung kann man in primäre, sekundäre, tertiäre und quartäre Verletzungen einteilen:
- Primärer Schaden: Direkt durch Druckwelle
- Sekundär: Fragmente/Projektile
- Tertiär: Aufprall gegen Boden/Gegenstände nach Wegschleudern durch Druckwelle
- Quartär: Einsturz von Gebäuden, Verbrennungen/Kontamination
Durch die teils erst verzögert auftretenden Schäden (z.B. ARDS, Darmischämie) sollten Patient:innen nach relevantem Explosionstrauma immer für mindestens 48h überwacht werden. Bei offenen Verletzungen sollte ein großzügiges Débridement und eine prophylaktische Antibiose erfolgen, da Explosionverletzungen immer als kontaminiert betrachtet werden müssen.
Bisswunde
Bisswunden durch Menschen oder Tiere: Deutlich erhöhte Infektionsgefahr. Die Größe des Tieres korreliert mit dem Verletzungsausmaß, die Tierart eher mit der Infektionswahrscheinlichkeit (insb. Katzen: erhöhtes Infektionsrisiko).
Meist liegt eine Kombination aus Perforations- und Riss-Quetschwunde vor (Katzen: eher Perforation, Hunde eher Quetschwunde).
Wundversorgung meist offen; Sonderfall Gesicht (Abwägen plastisches Ergebnis vs. Infektionsgefahr).
Indirekte Bissverletzung (Faustschlag gegen Zähne) oft unerkannt - Verletzung Strecksehne mit septischer Arthritis möglich!
Einteilung:
- Grad I: Oberflächliche Läsion, Riss-/Kratzwunde, Quetschwunde, Bisskanal
- Grad II: Hautverletzung bis hin zur Faszie/Muskulatur
- Grad III: Ausgedehnter Weichteildefekt bis hin zu Gewebsnekrose
Risikofaktoren: Erhöhtes Infektionsrisiko bei Bisswunden:
- Immunsuppression
- Komplizierte Wunde
- Punktuelle Wunde
- Schlecht durchblutete Körperregion
- Gelenk- oder Knochenbeteiligung
- Ausgedehnte Weichteilquetschung
- Hand, Fuß, Genital, Gesicht
- Alter >50 J.
- Katzenbiss
- Menschenbiss
Keimspektrum Bisswunden
- Insgesamt poly-mikrobiell
- Hunde: Staphylococcus aureus, Pasteurella multocida und Hämophilus Influenza
- Katzen: Pasteurella multocida
- Menschen: Streptococcus anginosus und Pateurella spp. (insg. breite Mischflora)
Checkliste Bissverletzung
- Eingehende Wundinspektion nach Lokalanästhesie
- Röntgen bzgl. knöcherner Begleitverletzungen, Ausschluss Fremdkörper im Weichteilgewebe (z.B. abgebrochene Zähne/Zahnfragmente)
- Außerhalb des Gesichts:
- Großzügige Spülung (z.B. Vollelektrolytlösung)
- Débridement von nekrotischem, zerstörtem Gewebe und ggf. Resektion der Wundränder
- Primärer oder sekundärer Wundverschluss je nach Infektrisiko (erhöhtes Risiko = kein primärer Wundverschluss!)
- Bisswunden im Gesicht:
- Keine Resektion der Wundränder oder Débridement
- Ausgiebige Spülung und Reinigung der Wunde
- Entfernung aller Fremdkörper aus der Wunde
- Lockere Adaptation der Wundränder durch Naht
- Engmaschige Wundkontrollen (ggf. stationäre Aufnahme)
- Rücksprache plastische Chirurgie (bzw. HNO/MKG), insb. bei Lippen-/ Lidverletzungen bzw. Verletzung von Ohren/Nase bzgl. weiterer Versorgung
- Tiefere Verletzungen (ab Grad II) insb. Hände oder Risikofaktoren
- ggf. antibiotische Prophylaxe z.B. Amoxicillin/Clavulansäure 875/125mg/8h po. (3-5d)
- engmaschige ambulante Verlaufskontrolle (anfangs täglich)
- Infizierte Wunde: Umgehende chirurgische Vorstellung, stationäre Aufnahme
- Antibiose: Ampicillin/Sulbactam 3g iv.;
- Sepsis/Hohlhandphlegmone: Piperacillin/Tazobactam 4,5g iv. siehe Antibiotika
- Hohlhandphlegmone (semiflektierte Finger, symmetrische Fingerschwellung, Berührungsempfindlichkeit, starker Schmerz entlang Beugesehne bei passiver Extension): umgehende chirurgische Wundrevision!
Tollwut-Prophylaxe
Bei jedem Tierbiss muss auch an Tollwut gedacht werden! Risiko abhängig von beißendem Tier. Deutschland formal tollwutfrei, jedoch importierte Fälle möglich (Urlaub, illegale Tierimporte).
- Symptomfreie Tiere/tollwutfreies Gebiet → keine Gefahr
- Tiere unbekannter Herkunft bzw. in/aus nicht-tollwutfreiem Gebiet → Postexpositionelle Prophylaxe beim Gebissenen
- Symptomatisches Tier → immer Prophylaxe
- Kontakt mit Fledermaus (Schleimhautkontakt, Kratzer, Biss) → immer Prophylaxe
Vorgehen Tollwut-Prophylaxe
Wunde | Keine / unvollständige Impfung | Vorhandene Impfung |
---|---|---|
Kratzer / | Aktivimpfung z.B. Rabipur® | Aktivimpfung |
Tiefere Wunde / | Aktivimpfung (s.o.) + |
Weiterführende Literatur und Links
Interessante Links (frei zugänglich)
- RKI Ratgeber Tollwut
- Schussverletzungen der Extremitäten Update (Wehrmedizin 2018)
- Tier- und Menschenbissverletzungen (Ärzteblatt 2015)
Literatur
- Hüfner, A. Kleine Chirurgie – Specials der Wundversorgung. Notaufnahme up2date 04, 33–55 (2022).
- RKI. RKI Ratgeber Tollwut. Epidemiologisches Bulletin (2022).
- Brill, S. & Holsträter, T. Erstbehandlung von Schuss- und Stichverletzungen im Schockraum. Notaufnahme up2date 3, 247–263 (2021).
- Hüfner, A. & Pemmerl, S. Basics der Wundversorgung. Notaufnahme up2date 2, 263–286 (2020).
- Fleischmann, T. & Hohenstein, C. Klinische Notfallmedizin Band 1 Wissen: Emergency Medicine nach dem EU-Curriculum. (2020).
- Wyatt, J. P., Taylor, R. G., Witt, K. de & Hotton, E. J. Oxford Handbook of Emergency Medicine. (2020).
- Tintinalli, J. E., Ma, J. O. & Donald, Y. M. Tintinalli’s Emergency Medicine. (2019).
- Hinck, D. C., Wipper, S. & Debus, E. S. Hämostyptika zur Behandlung der „junctional vascular injuries“. Unfallchirurg 121, 530–536 (2018).
- Rothe, K., Tsokos, M. & Handrick, W. Animal and Human Bite Wounds. Dtsch. Ärzteblatt Int. 112, 433–42 (2015).
- Weigel, B. & Nerlich, M. L. Praxisbuch Unfallchirurgie. (2011).