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Schädelhirntrauma (SHT)

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Erste Schritte

Mittleres / schweres SHT

  • Alles normo”, insbesondere:
    • Normotonie (RR syst. >90mmHg)
    • Normoxie (SpO2 95-99%, paO2 75-99mmHg)
    • Normokapnie (paCO2 35-45mmHg)
    • Normothermie (Hyperthermie vermeiden)
    • Normoglykämie
  • Intubation bei GCS <9
    • Kreislaufneutrale Narkose, tiefe Narkoseführung. „Pressen“, Hypoxie und Hypotonie vermeiden
  • Venösen Abfluss optimieren
    • HWS-Orthese möglichst entfernen, 15-30° Oberkörper-Hochlage)
  • Erhöhter Hirndruck: Konservative überbrückende Maßnahmen

Leichtes SHT

Wann stationäre Überwachung?

  • GCS <15
  • Neue Pathologie im CCT
  • Posttraumatischer Krampfanfall
  • OAK/TAH/Koagulopathie
  • Neues neurologisches Defizit, anhaltendes Erbrechen
  • Keine ausreichende ambulante Betreuung (Begleitperson etc.)

Immer bei Entlassung: Wiedervorstellung bei Zeichen klinischer Verschlechterung! Pat. sollten nach Entlassung nicht alleine sein.

Tipps

  • Das Schädelhirntrauma ist Haupttodesursache bei Traumapatient:innen
  • Die allgemeine Versorgung und Stabilisierung nach SHT ist essentiell für das Outcome
    • Eine zielgerichtete Therapie des primären zerebralen Schadens ist nicht möglich
  • Neurologische Defizite sind meist dynamisch, daher ist eine regelmäßige Reevaluation unverzichtbar!
  • Primäre Bildgebung: CCT
    • Schädel-Röntgen hat bei SHT und vorhandenem CT keinerlei Indikation mehr

Fokus Präklinik

  • Mittleres/schweres SHT:
    • Fokus: Normotonie (RRsys >90mmHg) und Normoxie (SpO2 95-99%)
    • Intubation bei GCS <9:
      • Möglichst Kreislaufneutrale Notfallnarkose (z.B. mit (Es)Ketamin); dann tiefe Narkoseführung. „Pressen“, Hypoxie und Hypotonie unbedingt vermeiden!
    • Bei V.a. HWS-Verletzung Immobilisierung z.B. mit Headblocks + 30° Oberkörper-Hochlage, wenn möglich
    • Nur bei klinisch hochgradigem V.a. kritisch erhöhten Hirndruck - konservativ überbrückend: Hyperventilation (Ziel etCO2 25-30mmHg)

Schädelhirntrauma Allgemein

Pathophysiologie

Durch kinetische Energie auf Schädel und Hirn entsteht eine Verletzung. Hierbei muss zwischen der Verletzung von Schädelstrukturen und der Verletzung von Hirngewebe unterschieden werden.

Der primäre Hirnschaden entsteht direkt durch die kinetische Zerstörung von Hirngewebe und ist irreversibel. 

Der sekundäre Hirnschaden bildet sich posttraumatisch im Rahmen der Auswirkungen von Hirndruck, Ischämie und Inflammation aus und steht im Fokus der weiteren Behandlung.

Symptome/Klinik

  • Bewusstseinsstörungen
    • Quantitativ: Vigilanzminderung
    • Qualitativ: desorientiert (zu Person, Ort, Zeit, Situation), wesensverändert etc.
  • Neurologische Defizite (häufig dynamisch → regelmäßige Re-Evaluation!)
    • Amnesie (retro-/anterograd)
    • Fokal-neurologische Defizite
    • Epileptische Anfälle
  • Äußere Verletzungszeichen
    • Riss- und Platzwunden
    • Austritt von Blut, Liquor oder Hirngewebe
    • Battle`s Sign (Hämatom über Mastoid)
      Oft in der Literatur bei Schädelbasisfrakturen als Zeichen beschrieben, Ausprägung jedoch oft erst nach Tagen
  • Allgemeine Beschwerden
    • Kopfschmerzen
    • Übelkeit und Erbrechen
    • Schwindel
    • Konzentrationsschwierigkeiten
    • Sehstörungen, insb. Diplopie
    • Schwerhörigkeit
    • Licht- und Geräuschüberempfindlichkeit
  • Hirndruckzeichen
    • Erbrechen
    • Anisokorie / lichstarre Pupillen
    • Pathologische Atmung
    • Bewusstseinsstörung
    • Cushing-Reflex (Hypertonie mit Bradykardie)

Einteilung SHT

Schweregrad nach initialem GCS (vor ärztlicher Intervention):

  • Leicht (GCS 15-13)
  • Mittel (GCS 12-9)
  • Schwer (GCS 8-3)

Die Einteilung nach „Commotio, Contusio, Compressio Cerebri“ ist veraltet und für die klinische Anwendung aufgrund der retrospektiven Beurteilung eigentlich ungeeignet.

Einteilung nach Verletzungsmuster:

  • Offen (Verletzung der Dura Mater, des Schädels und der Weichteile, Verbindung des Gehirns mit der Aussenwelt)
  • Geschlossen (intakte Dura Mater)

Bildgebung nach SHT

Indikation: Bei jedem mittleren oder schweren SHT (initialer GCS <13) oder leichtem SHT mit vorliegenden Risikofaktoren.

Zur Bildgebung bei SHT existieren verschiedene (oft umstrittene) Entscheidungsregeln. Hier pragmatische Übersicht verschiedener Empfehlungen.

Entscheidungshilfe CCT nach SHT

Harte Kriterien

CCT empfohlen

"Weiche" Kriterien

CCT erwägen

Symptomatik:

  • GCS <15 (2h nach Trauma)
  • Krampfanfall nach Trauma
  • Fokal-neurologisches Defizit
  • Anhaltender Kopfschmerz
  • Mehrmaliges Erbrechen (>2x)

Verletzungszeichen:

  • Impression der Schädelkalotte
  • Klinischer V.a. Schädelbasisfraktur (Hämatom auf Kalotte, Battle-Sign, Liquor/Blut aus Nase/Ohr)

Patient:in:

  • Intoxikation
  • Antikoagulation, TAH, bekannte Koagulopathie
  • Alter >65 Jahre

Mechanismus:

  • “Gefährlicher” Mechanismus (z.B. Sturz von ≥1m, ≥5 Treppenstufen, Fußgänger oder Fahrradfahrer gegen Auto)

Symptomatik:

  • Einmaliges Erbrechen
  • Transienter Bewusstseinsverlust
  • (Kurzzeit)gedächtnisstörung nach Trauma, anterograde/retrograde Amnesie

Verletzungszeichen:

  • Zeichen einer Schädelprellung (Hämatom oder Wunde)

Patient:in:

  • Alter 40-65 Jahre

Zusätzlich CT-HWS bei

  • Klinischer Verdacht auf HWS-Verletzung
  • Hochrasanztrauma/Hochrisikomechanismus
  • Alter >65 Jahre

Zusätzlich CT-Angiografie bei

  • Neurologisches Defizit (fokales Defizit oder qualitative Bewusstseinsstörung)
  • Klinischer V.a. Gefäßverletzung (z.B. Carotisdissektion)
  • Blutungsnachweis im Nativ-CCT (bzw. initial hochgradiger Verdacht)
  • jegliche HWS-Verletzung

Welche Bildgebung?

  • Allgemein: Natives CCT (Darstellung von Blutung / Hirnödem / Schädelfraktur)
  • Ergänzend CT-HWS bei
    • Klinischem V.a. HWS-Verletzung
    • Hochrasanztrauma / Hochrisiko-Mechanismus
    • Bei Alter >65 Jahre erwägen
  • CCT + CT-HWS + Kontrastmittel-Angiographie
    • Bei neurologischem Defizit (fokal oder qualitative Bewusstseinsstörung)
    • Bei klinischem V.a. Gefäßverletzung (Carotisdissektion etc.)
    • Bei Blutungsnachweis im nativ CCT (bzw. initial hochgradigem klinischen Verdacht)
    • Bei HWS-Verletzung mit Dislokation/Polytrauma

Craniales MRT

Ein craniales MRT (cMRT) ist für die initiale Diagnostik zu langwierig und speziellen Indikationen vorbehalten (z.B. relevantes neurologisches Defizit bei unauffälliger CT Untersuchung und fehlender anderer Ursache).

Leichtes SHT

Wann stationäre Überwachung?

  • GCS <15
  • Neue Pathologie im CCT
  • Posttraumatischer Krampfanfall
  • Orale Antikoagulation / Koagulopathie (z.B. ASS, Marcumar, DOAK etc.)
  • Neues neurologisches Defizit
  • Anhaltendes Erbrechen
  • Keine ausreichende ambulante Betreuung (Begleitperson etc.) 

Bei jeder Entlassung muss kommuniziert werden, dass bei Zeichen einer klinischen Verschlechterung eine sofortige Wiedervorstellung notwendig ist. Zudem sollten Patient:innen nach Entlassung möglichst nicht alleine sein (Begleitperson, Altenpflege, Familienangehörige entsprechend aufklären).

Checkliste Leichtes SHT

  • Symptomorientierte Therapie
    • Antiemetische Therapie
    • Ggf. Analgesie nach Stufenschema
    • Körperliche Schonung
  • Falls stationäre Überwachung indiziert
    • Alle 2h GCS- und Pupillenkontrolle
    • Bei Zustandsverschlechterung umgehend erneutes CCT
  • Falls ambulante Weiterbehandlung:
    • Überwachung durch Angehörige für 24h (diese sollten z.B. mit Begleitzettel über Warnzeichen aufgeklärt werden)
    • Warnzeichen (unmittelbare Wiedervorstellung ggf. mit Rettungsdienst):
      • Visusveränderung
      • Fehlende Erweckbarkeit
      • Veränderung des Bewusstseins (Verwirrung, Schläfrigkeit, Wesensveränderung)
      • Schwere, zunehmende Kopfschmerzen
      • Fieber, Meningismus, Erbrechen
      • Fokalneurologisches Defizit

Mittleres und schweres SHT

Diagnostik: Immer CCT und regelmäßige klinische Reevaluation.

Neurochirurgische Weiterbehandlung/Mitbeurteilung bei

  • Neue Pathologie im CCT nach Trauma (Blutung, Fraktur, Ödem etc.)
  • Anhaltendes neurologisches Defizit (fokal, Bewusstsein etc.) nach SHT
  • Liquorrhoe aus Nase/Ohr oder Wunde
  • Penetrierende Schädelverletzung
  • V.a. erhöhten Hirndruck

Checkliste mittlere / schweres SHT

  • Venösen Abfluss optimieren
    • Evtl. angelegte HWS-Orthese nach Bildgebung möglichst entfernen
    • 30° Oberkörper-Hochlage
    • Möglichst keine großlumigen Zugänge in die V. Jugularis Interna
  • Gerinnungsmanagement bei intrakranieller Blutung nach SHT
    • Antagonisierung der oralen Antikoagulation
    • Bei Thrombozyten <75.000/µl Transfusion erwägen
    • Blinde Gabe von Tranexamsäure wird nicht empfohlen
  • Hirndruckmanagement (s. unten)
    • Bei Anzeichen erhöhten intrakraniellen Drucks frühzeitig neurochirurgisches Konsil / ggf. Verlegung in Zentrum
    • Indikation zur invasiven Hirndruckmessung bei auffälligem CCT und Bewusstlosigkeit / Narkose
      • Ziel ist ein zerebraler Perfusionsdruck >50mmHg (= MAP-ICP)
    • Überbrückende Maßnahmen
      • Hyperventilation
      • Osmotherapie medikamentös z.B. Mannitol, hypertone NaCl-Lösung)
    • Bei therapierefraktär erhöhtem intrakraniellen Druck Entlastungstrepanation / dekompressive Kraniektomie, Barbituratkoma und/oder Hypothermie erwägen

Erhöhter Hirndruck

Allgemeine, überbrückende und invasive Maßnahmen bei akuter Hirndruckerhöhung - immer abhängig von der spezifischen Pathologie und individueller Beurteilung:

Allgemeine
Maßnahmen

Stabilisieren + "alles Normo"

  • Narkose + Atemwegssicherung bei GCS <9
    • adäquate Narkosetiefe aufrechterhalten, "Pressen" vermeiden
  • Normoxie (SpO2 95-99% bzw. paO2 75-95 mmHg)
  • Normokapnie (paCO2 35-45mmHg)
  • Normothermie (36,5-37°C - Hyperthermie vermeiden)
  • Normoglykämie (110-160mg/dl / 6-9mmol/l)

Venösen Abfluss möglichst optimieren

  • HWS-Orthese entfernen (wenn möglich)
  • 15-30° Oberkörper-Hochlage

Grobe Zielwerte (individuell!)

  • ICP < 20mmHg
  • CCP >60mmHg
    • bei SAB mit Vasospasmen >80mmHg

Überbrückende
konservative
Maßnahmen
bei ICP-Spitzen

Hyperventilation

  • Ziel-paCO2 ≤ 35mmHg / etCO2 28-35mmHg

Mannitol

  • Mannitol 0,5-1g/kg iv. Kurzinfusion
  • Ziel Serumosmolalität 330mOsmol/l
  • Bsp.: Mannitol 20% 250ml oder 10% 500ml = 50g

Hypertone NaCl-Lösung (off label)

  • NaCl 10% 100ml iv. Kurzinfusion (pragmatisch)
    • auch andere Verdünnungen möglich (z.B. NaCl 3% 200-300ml)
  • Ziel Serumnatrium 155-160mmol/l

Invasiv-operative
Maßnahmen

  • Verschlusshydrozephalus: Liquorableitung (z.B. externe Ventrikeldrainge)
  • Akute Raumforderung + ICP-Erhöhung: Frühzeitig operative Therapien erwägen (Entlastungstrepanation, Hämatomevakuation etc.)

Interessante Links (frei zugänglich)
Literatur
  • DGN. S1 Leitlinie Intrakranieller-Druck (ICP). AWMF (2023).
  • GNPI. S2k-Leitlinie Das Schädel-Hirn-Trauma im Kindes- und Jugendalter. AWMF (2022).
  • Herkenrath, P. Schädel-Hirn-Trauma bei Kindern. Pädiatrie up2date 15, 171–185 (2020).
  • Beez, T., Beseoglu, K. & Hänggi, D. Schädel-Hirn-Trauma des Erwachsenen. Notaufnahme up2date 2, 383–397 (2020).
  • Fleischmann, T. & Hohenstein, C. Klinische Notfallmedizin Band 1 Wissen: Emergency Medicine nach dem EU-Curriculum. (2020).
  • Wyatt, J. P., Taylor, R. G., Witt, K. de & Hotton, E. J. Oxford Handbook of Emergency Medicine. (2020).
  • Tintinalli, J. E., Ma, J. O. & Donald, Y. M. Tintinalli’s Emergency Medicine. (2019).
  • DGNC. S2e-Leitlinie Schädelhirntrauma im Erwachsenenalter. AWMF (2015).
  • Weigel, B. & Nerlich, M. L. Praxisbuch Unfallchirurgie. (2011).