1. Leitsymptome
  2. Skills und Techniken

Schmerzen, Analgesie + Analgosedierung

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Red Flags

Tipps

  • Überproportionaler Schmerz“ („pain out of proportion“) kann ein Hinweis auf eine akut kritische Erkrankung/Verletzung sein!
  • Bei der Dosisfindung beachten: „Was drin’ ist, ist drin“ - so kann es bei „ungeduldiger“ Gabe von potenten Analgetika zu Nebenwirkungen und Komplikationen kommen: Bei jeder Analgetika-Gabe Wirkeintritt und -dauer abwägen!
  • Bei bestehender Ursache (z.B. ACS, Verletzung) ist die repetitive Gabe von Analgetika je nach Wirkdauer nötig!
  • Insbesondere bei verlängerter Kreislaufzeit (z.B. bei kompromittierter Hämodynamik): Geduld - Wirkung abwarten!

Kindliche Schmerzen und Analgesie siehe Schmerz und Analgesie bei Kindern sowie Kindertabellen

Allgemeines und Einschätzung

Akuter Schmerz ist ein akuter Notfall. Die Behandlung und Bekämpfung von Schmerz muss eine der ersten Tätigkeiten in der Notfallmedizin sein. Das Konzept „mit Analgesie ist keine spätere Beurteilung möglich“ ist ein mehrfach widerlegter Mythos.

Die subjektive Selbst-Einschätzung von Patient:innen sollte primär ernst genommen werden, ein menschlicher, empathischer Umgang ist bereits Teil einer erfolgreichen Analgesie. Gerade ältere Patient:innen und Kinder (die sich jeweils nicht klar zu Schmerzen äußern können) werden häufig unterdosiert - hierzu empfiehlt sich die Nutzung von speziellen Schmerzskalen. Hier besonders wichtig: Sedierung ist keine Analgesie!

Einschätzung von Schmerz

Die Einschätzung von Schmerzen ist subjektiv und trotz verschiedener Skalen-Systeme nicht immer objektivierbar. Eine Vielzahl an Faktoren kann die Schmerzwahrnehmung und -äußerung beeinflussen. Keinesfalls darf man Schmerzen nur aufgrund des kulturellen Hintergrundes ab- oder aufwerten!

Schmerz-Skalen und Scores (Auswahl)

  • NRS (Numerische Rating-Skala 0-10): Standard bei Erwachsenen. Gut quantifizierbar, hilfreich für den Verlauf; für Patient:innen insb. initial oft schwer einschätzbar
  • SAS (Smiley-Analog-Skala): Hilfreich bei Kindern im Kindergartenalter
  • BPS (Behavioral Pain Scale): Beatmete / analgosedierte Patient:innen →MdCalc
  • Pain Assesment in Impaired Cognition ("PAIC 15 Skala"): Patient:innen mit starker Demenz / kognitiver Beeinträchtigung →PAIC15

Nichtmedikamentöse Therapie

Auch die nichtmedikamentöse Therapie von Schmerzen ist wichtig, z.B.:

  • Schonende Lagerung bzw. Optimierung der Liegesituation (z.B. spätestens nach einer Stunde empfinden viele Patient:innen die typische Notaufnahme-Liege als unbequem)
  • Kühlung (z.B. bei Fraktur, Distorsion, Verbrennung, Entzündung)
  • Immobilisation (z.B. bei Frakturen, Distorsionen)
  • Schmerzauslöser beseitigen (z.B. bei Luxation, Harnverhalt, Abszess, Fremdkörper)

Applikationsart

Die Applikationsart von Analgetika und deren Wirkeintritt ist ebenso essentiell:

  • Intravenös (schneller Wirkeintritt, jedoch iv.-Zugang nötig - schwierig u.a. bei Kindern)
  • Intranasal (rascher Wirkeintritt, genaue Dosierung erschwert, hilfreich bei Kindern und/oder agitierten Patient:innen)
  • Intramuskulär (relativ rascher Wirkteintritt, Depotwirkung; z.B. bei „verrotzten“ Kindern)
  • Subkutan (schwer einschätzbarer Wirkeintritt, Depotwirkung, zur akuten Analgesie selten initial sinnvoll)
  • Oral (deutlich verspäteter Wirkeintritt, oft lange Wirkdauer insb. bei Retard-Präparaten)

Schmerz - Evaluation

OPQRSTStrukturierte Erhebung von Schmerz
O

Onset: Wann und wie war Schmerzbeginn?

P

Provokation: Was verschlimmert / lindert die Schmerzen?

Q

Quality: Wie fühlen sich die Schmerzen an?

R

Region: Lokalisation und Ausstrahlung der Schmerzen

S

Severity: Intensität der Schmerzen

T

Time: Zeitlicher Verlauf der Schmerzen

(uv)

Unbedingt Vorsicht mit Suggestivfragen!

Die Ergänzung des bekannten "OPQRST-Schemas" mit "Unbedingt Vorsicht mit Suggestivfragen" ergibt sich aus der hohen Variabilität der Antworten, je nachdem wie Fragen durch die Untersucher:in gestellt werden. Deshalb: Offene Fragen stellen!

Überproportionaler Schmerz

(„Pain out of proportion“): Ev. Hinweis auf kritische Situation!

Überproportionaler Schmerz - gefährliche Ursachen

Gefährliche Ursachen für überproportionalen Schmerz

Kopf/Hals

Thorax

Abdomen

Schwangere

Urogenital (♂︎)

Extremitäten

Analgesie

Zusätzlich zu Medikamentengabe möglichst immer nichtmedikamentöse Analgesie bedenken!

Das bekannte WHO-Stufenschema kann bei der Auswahl hilfreich sein - bei stärksten Schmerzen sollte jedoch gleich mit potenter Analgesie begonnen werden und nicht erst mit (schwachen) Analgetika der Stufen I oder II. Teils können Kombinationen verschiedener Analgetika-Klassen synergetisch (z.B. NSAR und Metamizol) wirken.

Kontraindikationen (z.B. Leberinsuffizienz bei Paracetamol, Niereninsuffizienz bei Ibuprofen) immer bedenken.

Bei chronischen Schmerzen (insb. bei dauerhafter Opioid-Therapie) sind oft deutlich höhere Dosen notwendig. Als grobe Faustregel kann ca. (10-)20% der Tagesdosis als initiale Bedarfsmedikation verabreicht werden (siehe Medikamente in Palliativsituationen).

Leichter Schmerz

Präparat

Appli-kation

Wirkeintritt

Wirkdauer

Dosis

Kommentar

Ibuprofenpo.30 min.6-8h

400-800mg

max. 2,4g/24h

bessere GI-Verträglichkeit vgl. Diclofenac, ASS

Paracetamol

po.

30-40 min.

4-6h

500mg

max. 4g/24h

iv. als rasche Kurzinfusion

iv.

10 min.

4-6h

1000mg

max. 4g/24h

Mittelstarker Schmerz

Präparat

Appli-kation

Wirkeintritt

Wirkdauer

Dosis

Kommentar

Metamizol

po.

30-60 min.

4-6h

500-1000mg

max 4g/24h

CAVE! Seltene NW: Agranulozytose

iv. möglichst als Kurzinfusion sonst Gefahr RR-Abfall

iv.

15-30 min.

4-6h

1000mg

max 4g/24h

Tilidin / Naloxon

po.

10-15 min.

4-6h

50-100mg

max. 200(-600) mg/24h

Suchtpotential

Sonderfall: Metamizol + Agranulozytose-Risiko

Aufgrund der (sehr selten = 1:10.000) auftretenden Nebenwirkung Agranulozytose müssen nach einem →Rote-Hand-Brief von 2024 Patient:innen über Frühsymptome (Fieber, Schüttelfrost, Halsschmerzen, schmerzhafte Schleimhautveränderungen insb. im Mund-Rachen-Raum, Nase und Anogenitalbereich) und die beim Auftreten notwendige Beendigung der Einnahme und ärztliche Vorstellung informiert werden. Symptome können während oder kurz nach abgeschlossener Therapie mit Metamizol auftreten. Eine routinemäßige Blutbild-Überwachung ist allerdings nicht notwendig.
Kontraindikation für Metamizol u.a. bei bereits früher aufgetretener Agranulozytose durch Metamizol oder Pyrazolone/Pyrzolidine oder bei Pat. mit red. Knochenmarksfunktion / Erkrankung des blutbildenden Systems.

Bei V.a. Agranulozytose: Blutbild inkl. Differenzialblutbild abnehmen, Metamizol pausieren bis Abklärung erfolgt

Starker Schmerz

Präparat

Appli-kation

Wirkeintritt

Wirkdauer

Dosis

Kommentar

Piritramid

iv.

5-20 min.

40-60min.

7,5 (-15) mg

max 60mg/24h

Nalbuphiniv.2-3 min.3-6h2,5-5 mg, dann nach Bedarf (bis max. 0,2mg/kg)Keine gleichzeitige Gabe von Morphin, Fentanyl o.Ä. - Wirkungs-abschwächung!

Morphin

iv.

5-10 min.

(0,5)-2-4h

2,5-5 mg Boli (dann Titration nach Bedarf)

auch po. / im. / sc. möglich, jeweils angepasste Dosierung

Sehr starker Schmerz

Präparat

Appli-kation

Wirkeintritt

Wirkdauer

Dosis

Kommentar

Fentanyl

iv.

1-2 min.

20-30 min.

50-100µg
dann Titration nach Bedarf

Monitoring!

Auch im./sc./po./sl. möglich.

Sufentanil: Dosis ca. /10

in.

2-10 min.

30-60 min.

100µg

Esketamin

iv.

1-2 min.

10-15 min.

0,25mg/kg
dann Titration nach Bedarf

Auch im. möglich.

Üblicherweise in Kombination mit Benzodiazepin oder Propofol

Sondervariante: Ketamin Kurzinfusion

in.

5-10 min.

12-25 min.

0,5-1mg/kg

Analgosedierung

Bei starken Schmerzen oder geplanten schmerzhaften Maßnahmen kann eine Analgosedierung mit potenter Medikation notwendig sein. Bei Analgosedierung ist adäquates Monitoring und die jederzeitige Möglichkeit zur Beatmung und Atemwegssicherung obligat. Dosis immer an individuelle Pat. und Situation anpassen.

Flowchart Analgosedierung

Analgosedierung V2

Typische Gründe für Analgosedierung:

  • Anhaltender Schmerz trotz nichtinvasiver Maßnahmen wie Lagerung
  • Invasive (schmerzhafte) Intervention notwendig
  • Schmerzexazerbation z.B. bei Umlagerung erwartbar

Checkliste Analgosedierung

  • Schutzreflexe / ausreichende Eigenatmung vorhanden?
  • Vorbereitung Team + Patient:in
    • 10 für 10: Ablauf, Management bei erwartbaren Komplikationen (z.B. Apnoe)
    • Monitoring inkl. Pulsoxymetrie, EKG, Blutung, optimal auch etCO2 (z.B. Nasen-Kapnografie)
    • Präoxygenierung / O2-Gabe
    • Beatmungsbeutel, Absaugung, Guedeltubus / Wendeltubus griffbereit
  • Analgosedierungs-"Kochrezepte" individuell wählen und an Situation / Pat. anpassen
    (Auswahl vom möglichen Konzepten):

Analgosedierung intravenös

  1. Esketamin + Propofol iv.
    • Esketamin 0,25 (-0,5) mg/kg iv. (ggf. Repetition 0,25 mg/kg)
    • + Propofol 0,5 (-1) mg/kg iv. (ggf. Repetition mit 0,25mg/kg)
  2. Esketamin + Midazolam iv.
    • Esketamin 0,25 (-0,5) mg/kg iv. (ggf. Repetition 0,25 mg/kg)
    • ggf.+ Midazolam 0,05 mg/kg iv. (ggf. Repetition mit Boli 1-2mg)
  3. Fentanyl "mono" intravenös
    • Fentanyl 1 (-2) µg/kg iv. (ggf. Repetition 0,5-1 µg/kg)
    • primär potente Analgesie, bei höherer Dosis auch sedative Komponente
    • Kombination mit Propofol 0,25-0,5 mg/kg möglich, jedoch höhere Rate von Apnoe / Hypotonie

Analgosedierung intranasal

ggf. als Überbrückung bis zur Etablierung iv.-Zugang; alternativ auch intramuskuläre Analgosedierung erwägen

  1. Esketamin nasal
    • Esketamin 0,5 (-1) mg/kg intranasal (ggf. Repetition 0,5 mg/kg)
    • ggf.+ Midazolam 0,05 mg/kg in. (CAVE: Brennt in der Nase!)
  2. Fentanyl "mono" intranasal
    • Fentanyl 1-2 µg/kg intranasal (ggf. Repetition 1 µg/kg)

Checkliste Apnoe bei Analgosedierung

Jeweils rasche Eskalation auf nächsten Schritt, falls vorherige Maßnahme nicht ausreichend

  1. Stimulation (Kommandoatmung)
  2. Atemwege freimachen
    • Esmarch-Handgriff
    • Guedeltubus / Wendl-Tubus
    • ev. stabile Seitenlage
  3. Sauerstoffzufuhr erhöhen
    • z.B. Sauerstoffmaske, Highflow
  4. Assistierte Beatmung
    • mit Beatmungsbeutel
  5. Antagonisierung der Analgosedierung erwägen (falls möglich)
  6. Kontrollierte Beatmung
    • Supraglottische Atemwegshilfe (z.B. Larynxmaske)
    • ggf. Intubation

Sedierung / Narkose

Für kurzzeitige Sedierung (keine Analgesie!) z.B. Propofol 0,5mg/kg iv. Bolus (Repetition 0,25 mg/kg) - CAVE Hämodynamik!

Tiefe Sedierung in der Notfallmedizin meist im Rahmen von Notfallnarkose (bei intubierten / invasiv beatmeten Patient:innen) siehe Atemwegssicherung und Notfallnarkose.

Interessante Links (frei zugänglich)
Literatur
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