1. Leitsymptome
  2. Abdomen, Haut, Extremitäten

Urogenitale Notfälle inkl. Harnwegsinfektion

Feedback senden

Killer

Red Flags

Erste Schritte

Anamnese

  • Beschwerden bei der Miktion? (Dysurie, Algurie, Pollakisurie, Harnverhalt?)
  • Bekannte Geschlechtskrankheiten? Ausfluss / vaginale Beschwerden, Sexualanamnese, Infektion bei Partner:in - siehe STI
  • Z.n. Trauma oder kürzlicher urologischer Intervention / OP inkl. DK-Anlage

Körperliche Untersuchung

  • Vitalwerte, inkl. Fieber:
    • Erhöhte Temperatur spricht eher für schwerere Infektion z.B. Pyelonephritis, Urosepsis, Prostatitis (♂︎)
  • Genitalbereich (Phimose? Gebärmutter-Prolaps? Verletzung/Entzündung? Einliegender Blasenkatheter?)
  • Abdomen inkl. Nierenlager (Klopfschmerz?)
    • Flankenschmerzen und Rückenschmerzen sprechen eher für Pyelonephritis, Schmerzen oberhalb der Symphyse für Zystitis
  • Begleitsymptome (z.B. Übelkeit / Erbrechen)
    • z.B. bei Pyelonephritis oder Urosepsis
  • Bei V.a. Prostatitis (♂︎): rektale Untersuchung (Prostata-Druckschmerz?)

Urindiagnostik

  • Urinstatus (optimal Mittelstrahlurin), CAVE: Fehleranfällig, oft falsch-positiv/falsch-negativ. Siehe Labor - Urin
    • Bei jungen, gesunden Frauen ist bei typischer Anamnese und Klinik für einen unteren (unkomplizierten) Harnwegsinfekt und ohne vaginale Beschwerden (z.B. Ausfluss) keine zusätzliche Diagnostik notwendig, auch kein Urinstatus)
    • Bei gebährfährigen ♀︎ mit Indikation für Urinstatus: Auch Urin-Schwangerschaftstest durchführen (komplizierender Faktor)
  • Urinkultur: Indikation gezielt stellen!
    • Unkomplizierte Harnwegsinfektionen: Nur bei Rezidiven, Therapieversagen oder schwerem Verlauf
    • Obere Harnwegsinfektionen (Pyelonephritis), komplizierte Harnwegsinfektionen, nosokomiale Infektionen
    • V.a. Urosepsis

Labordiagnostik

  • Typisch: Blutbild, CRP, Kreatinin, Harnstoff, vBGA inkl. Laktat / Elektrolyte; PSA bei V.a. Prostatitis
  • Zielführend u.a. bei
    • Hohem Fieber
    • Krank wirkenden Patient:innen
    • Sepsisverdacht (dann auch Blutkultur)
    • Hinweise auf Komplikationen (z.B. Harnaufstau)
    • Risikofaktoren für schweren Verlauf (z.B. Immunsupression)

Abstrich und weitere Diagnostik bei V.a. STI-Verdacht siehe STI

Sonographie der Harnwege

  • Hinweis auf Komplikationen, z.B.
    • Harnaufstau mit postrenalem Nierenversagen
    • Restharn, Prostata-Vergrößerung
    • Abszeß

Tipps

Flankenschmerz mit V.a. Nierenkolik siehe Flankenschmerz

Definitionen:

  • Algurie - schmerzhafte Miktion
  • Pollakisurie - häufig, kleine Mengen
  • Dysurie - erschwerte Miktion
  • (Häufigster Grund: Harnwegsinfekt)

Fokus Präklinik

  • Akutes Skrotum: Transportziel Klinik mit Urologie, zeitkritisch

Harnwegsinfektion

Zystitis / Pyelonephritis

Einteilungen

  • Einteilung “kompliziert vs. unkompliziert” (anhand von Risikofaktoren) sowie “oberer vs. unterer” Harnwegsinfekt (oberhalb oder bis zur Harnblase = Pyelonephritis oder Zystitis)
    • Unkomplizierte Harnwegsinfektionen gibt es eigentlich nur bei gesunden, nicht schwangeren, prämenopausalen Frauen
  • Zu differenzieren ist die asymptomatische Bakteriurie (meist Nebenbefund). Behandlungsindikation bei geplanter urologischer Intervention und bei Schwangeren
Unkomplizierte Harnwegsinfektion

(alle der folgenden Punkte!)

  • keine funktionellen oder anatomischen Anomalien
  • keine relevante Nierenfunktionsstörung
  • keine relevanten Vor- oder Begleiterkrankungen, insb. Diabetes mellitus, Immunsuppression, Chemotherapie
Komplizierte Harnwegsinfektion

(einer der Punkte ausreichend für Definition "kompliziert")

  • Männlicher Patient
  • Schwangerschaft
  • Harnaufstau/Prostatavergrößerung
  • Harnleiter- oder Nierensteine
  • anatomische Anomalie (z.B. Harnblasendivertikel)
  • Einliegender Dauerkatheter
  • Postoperativ (Z.n. Nephrostomie / Doppel-J-Anlage)
  • Niereninsuffizienz
  • Z.n. Nierentransplantation
  • Immunsuppression (HIV, Diabetes, Leberinsuffizienz, Chemotherapie)
  • Diabetes mellitus (mit instabiler Stoffwechsellage)

Checkliste Harnwegsinfektion

  • Unkomplizierte Harnwegsinfektion mit mildem Verlauf (kein Fieber, guter Allgemeinzustand): Meist keine Antibiose notwendig. Shared Decision mit Pat., Symptombesserung auch mit allgemeinen Maßnahmen typisch innerhalb der ersten 72h erreichbar.
    • NSAR (z.B. Ibuprofen)
    • Trinkmenge erhöhen (gleichmäßig verteilt, ca. 1,5-2 Liter)
    • DK entfernen / wechseln, wenn möglich
  • Antibiotische Therapie (allgemeine Empfehlungen, Anpassung nach lokalen Resistenzspektrum und ggf. Rücksprache Urologie, insb. bei komplizierten Fällen)
Antibiose - Untere Harnwegsinfektion
  • Unkomplizierter unterer Harnwegsinfekt:
    • Pivmecillinam 400mg po. /8h po. für 3d (auch bei Schwangeren möglich) oder
    • Nitrofurantoin RT 100mg /12h po. für 5d
  • Komplizierter unterer Harnwegsinfekt (insbesondere alle Männer)
    • Cefpodoxim 100mg /12h po. für 5d
    • Fluorchinolone (Ciprofloxacin, Levofloxacin) nur im begründeten Einzelfall
  • Schwerer Verlauf / Risikofaktoren:
    • Ceftriaxon 2g/ 24h iv. oder Cefotaxim 2g/8h iv.
Antibiose - Obere Harnwegsinfektion
  • Unkomplizierter oberer Harnwegsinfekt (Pyelonephritis)
    • Cefpodoxim 200mg /12h po. für 10d
    • Fluorchinolone (Ciprofloxacin, Levofloxacin) nur im begründeten Einzelfall oder bekannter Empfindlichkeit im Antibiogramm
    • Nach 24-48h erneute ärztliche Vorstellung (z.B. ambulant)
  • Komplizierter oberer Harnwegsinfekt
    • Ceftriaxon 2g /24h iv.
Antibiose - Urosepsis
  • Ceftriaxon 2g /12h iv. (an Tag 1, dann 2g /24h) oder
  • Piperacillin/Tazobactam 4,5g /8h iv. oder
  • Meropenem 2g /8h iv. (nach 24h ggf. auf 1g /8h iv. reduzieren), insbesondere bei Pseudomonasverdacht
    • Urosepsis ist oft bedingt durch obstruktive Uropathie oder Abszedierung, daher neben Antibiose unbedingt Fokussanierung bedenken (DJ Schiene, Nephrostomie etc.)
Antibiose - Sonderfall: V.a. resistente Keime
  • V.a. resistente Keime (Krankenhausaufenthalt in den letzten 90 Tagen, häufige Antibiosen in der Vergangenheit und/oder Therapieversagen):
    • Cefepim 2g /12h iv. oder
    • Piperacillin/Tazobactam 4,5g /8 h iv. oder
    • Meropenem 2g /8h iv. (nach 24h ggf. auf 1g /8h iv. reduzieren)
Antibiose - Sonderfall: Schwangerschaft
  • Schwangerschaftszystitis / asymptomatische Bakteriurie bei der Schwangeren:
    • Rücksprache Gynäkologie! Antibiose z.B. Cefpodoxim 100-200mg /12h po.
    • Pyelonephritis bei Schwangeren sollte immer parenteral und stationär therapiert werden (z.B. Ceftriaxon 2g /24h iv.)
  • Urinkultur: nur bei rezidivierenden unkomplizierten Harnwegsinfekten, Therapieversagen oder schwerem Verlauf, immer bei oberen und/oder komplizierten Harnwegsinfekten

Prostatitis

Akute Prostatitis: Bakterielle Genese, eher jüngere Patienten, hoher PSA-Wert, Fieber, Schmerzen, Dysurie. Komplikationen: Abszess, Chronifizierung, Ausbreitung der Infektion.
(Chronische Prostatitis: Unauffälliges Labor, häufig abakteriell, chronisches Beckenschmerzsyndrom.)

Symptomatik

  • Miktionsbeschwerden (Dysurie)
  • Defäkationsschmerz, Perinealschmerzen
  • Schweres Krankheitsgefühl (Fieber, Schwäche)

Checkliste V.a. Prostatitis

  • Diagnostik
    • Labor inkl. PSA (meist deutlich erhöht), Urinstatus, Urinkultur
    • Rektale Untersuchung: druckempfindliche, vergrößerte Prostata?
  • Therapie
    • Meist schweres Krankheitsbild, dann stationäre (urologische) Aufnahme, parenterale Antibiose z.B. Ceftriaxon 2h /24h iv. nach urologischer Rücksprache
    • (Bei leichtem Krankheitsbild ggf. orale Antibiose z.B. mit Levofloxacin / Ciprofloxacin und zeitnahe ambulante urologische Vorstellung möglich)

Urethritis

Meistens bei sexuell übertragbaren Infektionen (STI), Infektion z.B. mit Gonokokken, Chlamydien.

Symptomatik:

  • Schmerzen beim Wasserlassen
  • ggf. aufsteigende Infektionen mit Zervixitis, Salpingitis, PID, Epididymitis etc.

Checkliste V.a. Urethritis

  • Diagnostik und Therapie siehe STI
    • Generell: Abstrich, ggf. mit Kultur zur Resistenztestung (Nachweis von Gonokokken sind meldepflichtig)
    • Therapie bei Verdacht kalkuliert bis Testergebnis vorliegt (Chlamydien und Gonokokken)

Akuter Harnverhalt

Unfähigkeit die Blase trotz Harndrang zu entleeren. Häufigster urologischer Notfall, benötigt rasche Entlastung (entweder transurethral oder suprapubische Drainage).

Ursachen
  • Infravesikale Obstruktion (häufigste Ursache)
    • Prostatavergrößerung: Ältere Männer (> 60 Jahre):
    • Harnröhrenstrikturen: Junge Männer:
    • Tumore (Kompression durch maligne Prozesse im Becken)
    • Konkremente (bekannte Nierensteine?)
  • Neurogen (seltener hochakut, meist länger bestehende Restharnbildung)
  • Blasentamponade (Antikoagulation?)
  • Trauma (Becken)
  • Medikamente
    • Psychopharmaka / Trizyklische Antidepressive
    • Anticholinergika
    • Sympathomimetika/ Parasympatholytika

Symptomatik:

  • Unterbauchschmerzen (Dehnung Ureter und Nierenkapsel)
  • Tastbare Harnblase im Unterbauch
  • Pseudoperitonismus
  • komplette Anurie oder Überlaufharnblase möglich
  • Vegetative Symptome wie Unruhe, Blässe, Tachykardie
  • CAVE: Bei neurogener Ursache (Querschnitt etc.) werden von Pat. meist keine Schmerzen verspürt!

Checkliste Harnverhalt

  • Anamnese inkl. Steinleiden, Vorerkrankungen / Operationen / Traumata?
  • Untersuchung, ggf. rektale Untersuchung bei Verdacht auf neurogene Ursache (Sphinktertonus?) und zur Beurteilung Prostata
  • Sonografie
    • Harnblase gefüllt? Hinweis auf Ursache (z.B. Koagel, Tumor, dislozierter DK)?
    • Nierenbecken, Ureter gestaut?
    • Prostatagröße (falls darstellbar)
  • Labor je nach Klinik:
    • Urinstatus + Entzündungswerte zum Ausschluss Harnwegsinfekt
    • BGA (Elektrolytentgleisung, metabolische Azidose)
    • Kreatinin/Harnstoff (postrenale Nierenfunktionseinschränkung, Urämie)
    • V.a. Harnblasentamponade unter Antikoagulation: Relevante Gerinnungsparameter für eingenommene AK
  • Entlastung mit Blasenkathether (urologische Rücksprache bei kürzlich erfolgter Operation, Trauma oder bekannt schwieriger Anatomie)
    • ggf. suprapubisch, insb. bei urogenitalem Trauma
    • Bei Harnblasentamponade: Spülkatheter anlegen und Spülen bis der Urin wieder klar ist, Kontrolle Gerinnungsparameter und ggf. Pausieren von Antikoagulantien
    • Nach Entlastung durch DK (möglichst fraktioniert, Schmerzlinderung meist bereits nach den ersten 100-200ml) sonographische Kontrolle der Nieren, Restharnbestimmung
Weitere Behandlung

Beim älteren Mann mit deutlicher Prostatahyperplasie und erstmaligem unkompliziertem Harnverhalt mit einsetzender Diurese nach DK Anlage: Ggf. Entlassung möglich mit Empfehlung eines ambulante DK-Auslassversuchs ambulant mit urologischer Vorstellung in den nächsten 3-7 Tagen.

Ansonsten häufig stationäre Aufnahme notwendig für weitere Maßnahmen (Behandlung Infekt, Spülung bei Harnblasentamponade, Bilanzierung, Volumensubstitution und Elektrolytkontrolle (cave: Hypernatriämie) einer möglichen Polyurie.

Umgehende urologische Vorstellung insbesondere bei

  • Fehlendem Einsetzen der Diurese nach DK Anlage
  • Fehlender Entstauung der Nieren nach DK Anlage
  • V.a. Urosepsis

Hämaturie

Grobe Einteilung in Makrohämaturie (sichtbare / makroskopisch rötliche Verfärbung des Urins) und Mikrohämaturie (Nachweis von Erythrozyten im Urinstatus).

Makrohämaturie

Klassischer Vorstellungsgrund: “Roter Urin”. Komplikation insb. Blasentamponade, sehr selten Anämie / hämorrhagischer Schock

Ursachen
  • Schmerzhafte Ursachen
    • Trauma (Nierentrauma, Urethraverletzung, Blasenruptur)
    • Entzündungsbedingt (typisch: Ausgeprägte Dysurie / hämorrhagische Zystitis)
    • Steinleiden
  • Nicht schmerzhafte Ursachen
    • Antikoagulation (ggf. Überdosierung)
    • Tumor des unteren Harntrakts
    • seltener: Prostatahyperplasie (Blutung aus Prostatavarizen)

Checkliste Makrohämaturie

  • Anamnese: Schmerzen ja/nein? (siehe oben)
  • Diagnostik:
    • Urinstatus ist meist nicht verwertbar, bei V.a. hämorrhagischer Zystitis macht Urinkultur Sinn
    • Labor inkl. Kreatinin, Elektrolyte, Entzündungszeichen bei Infektionsverdacht, Gerinnungsparameter bei Antikoagulation
    • Sonografie: Blasentumor? Prostatavergrößerung? Harnaufstau?
  • Therapie (symptomatisch + gezielte Therapie der Ursache)
    • Harnverhaltung: Anlage Spülkatheter (Dauerspülung)
    • Infektnachweis: Antiinfektive Therapie (siehe Harnwegsinfekt)
  • Urologische Vorstellung / Rücksprache bei Tumorverdacht oder zur weiteren Diagnostik (ggf. Zystoskopie, retrograde Urographie etc.)

Mikrohämaturie

In der Notaufnahme meist “Nebenbefund”, laborchemische Auffälligkeit: Makroskopisch ist Urin unauffällig, mikroskopisch >3 Erythrozyten/µl.

Falsch positive “Mikrohämaturie” (Anamnese!) u.a. bei

  • Menstruation
  • Rektale Blutung
  • Nach Geschlechtsverkehr
  • Nach urologischen Prozeduren

Ursprung der Mikrohämaturie entscheidend, Unterscheidung mittels Urinmikroskopie zwischen

  • “Glomerulärer Mikrohämaturie” (auffällige / dysmorphe Erythrozyten)
  • “Urologischer Mikrohämaturie” (normale Erythrozyten)
Glomeruläre Mikrohämaturie

= dysmorphe Erythrozyten, Akanthozyten, Erythrozytenzylinder

Ursachen (Auswahl)

  • Akute Tubulointerstitielle Nierenerkrankung (akute interstitielle Nephritis)
  • Arzneimittel-bedingt (7-10d nach Medikamentenexposition, insb. NSAR)
  • Infektion (z.B. bakteriell durch Streptokokken, auch viral z.B. Hanta Virus)
  • Autoimmunerkrankung (z.B. systemischer Lupus, Sjögren Syndrom)
  • Akute obstruktive Erkrankung (z.B. Leichtkettennephropathie)
  • Glomeruläre Erkrankung mit nephritischem / nephrotischen Syndrom
    • Rapid progressive Glomerulonephritis (RPGN)
    • Sowie verschiedene (Glomerulo)nephritiden, z.B. postinfektiöse Glomerulonephritis (1-3 Wochen nach Pharyngitis), Lupus-Nephritis (eher W), Antibasalmembran-Glomerulonephritis (teils pulmorenales Syndrom, rasch progredient hochakut), IgA Nephropathie (häufigste Glomerulonephritis, junge ♂︎). ANCA-positive Vaskulitis etc.)
  • Renovaskuläre Erkrankungen (Niereninfarkt, Nierenvenenthrombose)
  • Zystische Nephropathie

Red Flags bei glomerulärer Mikrohämaturie:

Dann rasch (!) nephrologische Vorstellung zur Festlegung weiterer Maßnahmen und Diagnostik (evtl. Immunsuppression / Plasmaseparation notwendig, teils dringende Nierenbiopsie notwendig, insbesondere bei dem Verdacht auf Rapid Progressive Glomerulonephritis (RPGN).

Ein “Nephrotisches Syndrom” als Überbegriff verschiedener akuter Verläufe glomerulärer Erkrankungen ist typischerweise gekennzeichnet durch: Schäumenden Urin bei Proteinurie ( > 3,5 g/Tag), Gewichtszunahme, Ödeme sowie ggf. Thrombembolien und erhöhter Infektanfälligkeit. Auch hier dringliche nephrologische Vorstellung und Rücksprache!

Erweiterte anamnestische Fragen (typisch im weiteren, stationären Verlauf):

  • Schäumender Urin, Hypertonie (evtl. Hinweis auf nephrotisches Syndrom)
  • Bluthusten (evtl. Hinweis auf Anti-GBM-Erkrankung (auch "Goodpasture Syndrom”))
  • Blutiger Schnupfen, rezidivierende Sinusitis (evtl. Hinweis auf Granulomatose mit Polyangiitis)
  • Arthralgien, Myalgien (evtl. Hinweis auf Vaskulitis)
  • Hepatitis-B oder -C-Infektion (evtl. Hinweis auf infektiöse akute tubulointerstitielle Nephritis)
  • Regelmäßige Einnahme von Medikamenten wie NSAR (tubulointerstitielle Nephritis)
Urologische Mikrohämaturie

= Nicht-glomeruläre Mikrohämaturie, normale Erythrozyten

Ursachen (Auswahl)

  • Nierenstein(e) (siehe Flankenschmerz), häufige Ursache für Mikrohämaturie
  • Benigne Prostatahyperplasie
  • Ureterstriktur
  • Harnwegsinfektion
  • Malignom (Nierenzellkarzinom (typisch: B-Symptomatik, Flankenschmerz, palpabler Tumor), Prostatakarzinom (Männer >50 Jahre, Hodentumor (Männer <50 Jahre))

Weitere Abklärung/ Kontrolle einer urologischen Mikrohämaturie ambulant / via Urologie (je nach Vermutung Zystoskopie, Urinzytologie, CT-Urografie etc.). Je mehr Risikofaktoren (insbesondere Alter und männliches Geschlecht), desto zügiger sollte Abklärung erfolgen.

Erweiterte anamnestische Fragen: Tabakrauch-Exposition, urologische Erkrankungen in der Vorgeschichte, Exposition ggü. Noxen z.B. Lack, Chemikalien, Chemotherapien

Checkliste Mikrohämaturie

  • Anamnese inkl. Antikoagulation, Trauma, Infektzeichen
    • Oligurie, Anurie? (Tamponade / Nierenfunktionseinschränkung)
    • Red Flags: “Krank” wirkende Pat., Proteinurie (“schäumender Urin”)
  • Falls keine klare Ursache für falsch positive Mikrohämaturie ersichtlich oder auffällige Anamnese - weitere Diagnostik:
  • Urinmikroskopie
  • Labor inkl. Blutbild, Kreatinin, Harnstoff, Elektrolyte, LDH, Gesamteiweiß
    • LDH erhöht: Hämolyse erwägen (Haptoglobin, indir. Bilirubin ergänzen)
  • Sonografie Niere (vergrößerte / verquollene Nieren, Aufstau, Parenchym, Zysten?) und Harnblase
  • Mikroskopische Hämaturie: Eher rasch nephrologische (meist stationäre) Abklärung
  • Urologische Hämaturie: Meist ambulante urologische Abklärung

Penisschmerz, Entzündung

Balanitis

Entzündung der Glans penis, häufig Candida-Infektion. Balanitis kann klinische Erstmanifestation eines Diabetes Mellitus sein.

Symptomatik

  • Entwicklung der Symptome über Tage
  • Spannungsgefühl
  • Juckreiz
  • Schmerzen
  • Erythem (ggf. eitriges Exsudat)

Vorgehen

  • Fokus auf Hygienemaßnahmen (Säubern der Glans mit Kochsalz)
  • Lokale Therapie mit Wundgel, Kamille-Sitzbäder
  • Ggf. antifungale lokale Salben (Nystatin)
  • Bei Rezidiven oder prolongierten Verläufen: Abnahme Kultur, ggf. urologische Vorstellung (Biopsie)
  • Hausärztliche / urologische Verlaufskontrolle

Priapismus

Pathologische, häufig schmerzhafte und langanhaltende (>6h) Erektion durch Blutstase in den Corpus Cavernosa, häufig mit Harnverhalt.

Ursachen (Auswahl)
  • Einnahme von Sildenafil oder Analoga
  • Antihypertensiva (z.B. Hydralazin, Calciumkanalblocker), Neuroleptika (z.B. Chlorpromazin, Fluoxetin, Sertralin, Lithium), Testosteron
  • Drogen (z.B. Kokain, Crack, Marihuana), Alkohol
  • Hämatologische Genese, z.B. Erstmanifestation akute Leukämie, Komplikation Sichelzellerkrankung
  • Trauma urogenital, Becken, schwere Wirbelsäulenverletzung mit Querschnittssymptomatik

Einteilung

  • Ischämischer Priapismus (veno-okklusiv), häufiger = Low-Flow Priapismus
    • Ursache: Venöses Abflusshindernis
    • Meist sehr schmerzhaft
  • Nicht-ischämischer Priapismus (selten) = High Flow Priapismus
    • Meist wenig Schmerzen
    • Ursache: Fistel zwischen Corpus cavernosum und der A. cavernosa, meist im Rahmen eines Traumas
    • Akut meist keine Therapie notwendig

Checkliste Priapismus

  • Ziel: Differenzierung zwischen ischämischem- und nicht ischämischem Priapismus
    • Bei Kompetenz: Dopplersonographie (fehlender arterieller Fluss bei ischämischem Priapismus)
    • BGA aus aspiriertem Blut des Corpus Cavernosum
      • Low-Flow Priapismus: Azidose, Hyperkapnie, Hypoxie bzw. “venöse” Werte
      • High-Flow Priapismus: Unauffällige “arterielle” BGA
  • V.a. Low-Flow Priapismus: Urologischer Notfall!
    • Umgehende Verlegung in Urologie bzw. urologische Rücksprache
    • Schwellkörperpunktion durch Urologie; falls urologische Versorgung nicht innerhalb von 4-6h möglich ggf. Schwellkörperpunktion in der Notaufnahme (s.u.)
    • Adäquate Analgesie (ggf. Analgosedierung bei Aspiration)
Schwellkörperpunktion (Notfallprozedur)

(Notfall-Prozedur, in Rücksprache Urologie)

  • Lokalanästhesie (Ringblock um den Penisschaft) sowie an der geplanten Einstichstelle mit Lidocain 1%
  • Blutaspiration aus Corpus Cavernosum (laterale Punktion bds. in den Penisschaft mit 18-20 G Nadel, Punktionstiefe ca. 0,5 cm
    • Aspiration solange, bis das Blut arteriell-rot wird (Zeichen dafür, dass ausreichend Blut aspiriert wurde, sodass ein arterieller Fluss wieder gegeben ist), ca. 50-200ml
  • Falls Priapismus persistiert ggf: Injektion von Noradrenalin 10µg fraktioniert unter Monitoring (1mg Noradrenalin auf 100ml, davon 1ml=10µg; off label) und umgehende urologische Verlegung

Paraphimose

Vorhaut kann nicht zurück über die Glans Penis geschoben werden - Ödembildung der Glans mit venösen Abflussbehinderung, Komplikation: Entzündung.

“Typische” Komplikation im klinischen Alltag bei unterlassener Reposition der Vorhaut im Rahmen der Anlage eines DK bei vigilanzgeminderten Pat..

Vorgehen:

  • Manuelle Kompression der Glans (entweder manuell oder durch eine Kompresse) für ca. 5 Minuten, dann erneuter Versuch der Reposition der Vorhaut
  • Schmerzreduktion: Lokalanästhesie z.B. mittels Creme (Lidocain und Prilocain, z.B. EMLA®), ggf. systemische Analgesie
  • Wenn frustran: Urologische Vorstellung/Verlegung zur Inzision, im Verlauf ggf. Zirkumzision

Penisbruch

Auch Penisruptur oder Penisfraktur. Direktes (Stauchungs-)Trauma des erigierten Penis meist im Rahmen von Geschlechtsverkehr mit Ruptur des Corpus Cavernosum. Komplikationen: Verletzung der Urethra und/oder tiefer Venen.

Symptomatik

  • Schmerz
  • Schwellung / Spannung
  • Penishämatom, evtl. auch Skrotalhämatom

Vorgehen:

  • Klinik und Anamnese meist beweisend (“urologische Blickdiagnose”)
    • im Zweifel retrogrades Urethrogramm (Urethra intakt?) durch Urologie bzw. sonografische Darstellung der Tunica albuginea oder MRT
  • Analgesie
  • Umgehende Verlegung/Vorstellung in Urologie
    • Meist frühzeitige OP indiziert

Hodenschmerz

Ursachen (Überblick)
  • Intraskrotale Ursachen
    • Hodentorsion (bei Hodenschmerz immer auszuschließen aufgrund schwerer Komplikationen wie Infarzierung, Unfruchtbarkeit)
    • Epididymitis
    • Inkarzerierte Hernie
    • Hodentumor
    • Orchitis
    • Hodenruptur
    • Hydatidentorsion
  • Extraskrotale Ursachen mit Schmerz-Projektion in den Hoden, z.B.

Hodentorsion

Bei Hodenschmerz immer Hodentorsion ausschließen. Axiale Drehung des Samenstrangs mit folgender Ischämie. Auftreten häufig nachts, bei Sport oder Trauma, häufig bei Säuglingen und in der Pubertät.

Typische Klinik:

  • “Akutes Skrotum“ (akuter, starker Schmerz)
    • Schmerzen können auch im Unterbauch / Leistenregion lokalisiert sein
  • Schwellung/Spannung und Hochstand des betroffenen Hoden
  • vegetative Begleitsymptome (z.B. Übelkeit, Erbrechen)
  • Schmerzverstärkung bei Elevation des Hoden ("Prehn-Zeichen")
  • Urinstatus und Labor meist unauffällig bzw. nicht wegweisend

Checkliste Hodentorsion

  • Untersuchung - typische Klinik?
    • Bei klinisch relevantem Verdacht: Zeitkritische urologische Vorstellung
  • Sonografie Hoden (immer im Seitenvergleich)
    • “Whirlpool-Zeichen” (verdrehter Samenstrang darstellbar)
    • Duplexsonografie:
      • Fehlende / verminderte Durchblutung im Seitenvergleich
      • Fehlerquellen: Erhöhte Perfusion der Skrotalwand und Kapselgefäßen kann ausreichende Hodendurchblutung vortäuschen; bei partieller Torsion ist die arterielle Perfusion oft unauffällig
  • Sonografie Nieren (Diagnostik alternativer Ursachen für Beschwerden mit Ausstrahlung, insb. Nierenkolik mit Nierenaufstau)
  • Adäquate Analgesie
  • Falls Urologie nicht sofort verfügbar ggf. notfallmäßiger Versuch der manuellen Detorsion (häufig nicht erfolgreich)
    • Eineinhalb Drehungen (540°) von medial nach lateral (“wie ein Buch aufklappen”), bei Schmerzzunahme Drehbewegung von lateral nach medial
    • Auch bei erfolgreicher Detorsion und Schmerzminderung muss immer eine urologische Vorstellung / Rücksprache erfolgen
  • Definitive Therapie durch Urologie: Operative Freilegung und Orchidopexie

Sonderfall: Hydatidentorsion (Torsion von Nebenhoden/-anhang): Ähnliche Schmerzsymptomatik wie bei der Hodentorsion; ggf. “Blue Dot Sign” (Durchschimmern der infarzierten Hydatide). OP ebenfalls meist notwendig, Analgesie, Urologie.

Epididymitis

Entzündung des Nebenhodens. Ursachen bei jüngeren Patienten: STI (Chlamydien, Gonorrhoe), Mumps, anatomische Varianten der Harnwege, bei älteren Patienten eher “klassische” Uropathogene (Harnwegsinfektionen bei BPH und Restharnbildung).

Symptomatik

  • Subakuterer Beginn als bei der Hodentorsion (eher Stunden bis Tage)
  • Klinische Entzündungszeichen
  • Initial Spannung / Verhärtung des Hodens, im Verlauf zunehmende Schwellung und Rötung
  • Unterbauchschmerzen, Schmerzen in der Leistengegend, Hodenschmerzen
  • Allgemeines Krankheitsgefühl, Fieber
  • Miktionsbeschwerden
  • Schmerzreduktion bei Elevation des Hodens

Checkliste Epididymitis

  • Urinstatus (begleitender Harnwegsinfekt? Keimnachweis? )
    • Urinkultur (bei älteren Patienten oder Risikofaktoren wie Dauer-DK-Träger)
  • Labor inkl. Entzündungszeichen
  • Sonografie
    • Hoden: Ausschluss einer Hodentorsion, Hinweis auf Skrotalabszess?
    • Harntrakt: Restharn? Nierenaufstau?
  • Allgemeintherapie
    • Bettruhe, Hoden hochlagern (Hodenbänkchen)
    • Analgesie z.B. mit NSAR (Ibuprofen)
    • Kühlung
  • Antibiose:
  • Suprapubische DK Anlage bei Restharnbildung (insbesondere bei älteren Patienten)
  • Ambulante Entlassung evtl. möglich, wenn kein Fieber oder sonstige systemische Infektzeichen vorhanden: Urologische Kontrolle nach spätestens 3-5 Tagen

Orchitis

Entzündung des Hodens. Ursachen: Virale Infektion (Cocksackie, EBV, Varizella), Komplikationen einer Mumps-Infektion (initial unilaterale Orchitis, nach 9-10 Tagen bilaterale Orchitis, bakterielle Infektion. Therapie / Vorgehen analog Epididymitis + Rücksprache Urologie.

Skrotalabszess

Vorgehen

  • Tiefe des Abszesses abschätzen (ggf. songrafisch)
    • Oberflächlich: Meist nur Haarfollikel- Abszess
      • Nach urologischer Rücksprache: Inzision und Entlastung (s. Abszess), Antiseptischer Verband und urologische Vorstellung am Folgetag
    • Tiefer: Urethra, Hoden, Nebenhoden
      • Frühzeitig urologische Vorstellung bei tiefem Abszess, wenn Tiefe nicht beurteilt werden kann oder bei DD Fournier Gangrän (s. unten)

Fournier-Gangrän

Erhöhtes Risiko bei Männern, >45 J., Immunsuppression (inkl. Diabetes, Alkoholismus), SGLT2-Inhibitor-Einnahme. Beginn meist mit simplem Abszess aber fulminanter Verlauf mit Entwicklung einer nekrotisierenden Fasziitis

Symptomatik / typische Klinik

  • Wichtigster Hinweis: Massive Schmerzen
  • Schwellung, Erythem, schweres Krankheitsgefühl
  • Klinisch septisches Krankheitsbild
  • Sonografisch evtl. Nachweis von Lufteinschlüssen im Gewebe

Checkliste Fournier-Gangrän

  • Sofortige urologische Vorstellung bei jeglichem Verdacht, Notfall-OP-Indikation!
  • Antibiotische Therapie nach Blutkulturabnahme
    • Piperacillin/Tazobactam 4,5g iv. oder Meropenem 1g iv.
    • + Clindamycin 600 mg iv. oder Linezolid 600mg iv.
  • Intensivmedizinische Überwachung
Interessante Links (frei zugänglich)
Literatur
  • Schmelz, H.-U., Sparwasser, C. & Weidner, W. Facharztwissen Urologie 3. Auflage. (Springer Medizin, 2023).
  • Schmiemann, G. & Hummers, E. Antibiotika bei Harnwegsinfektionen. AVP 3–4, (2021).
  • Böhm, L. & Fandler, M. Brennen beim Wasserlassen. Notaufnahme up2date 3, 7–10 (2021).
  • DEGAM. Nicht sichtbare Hämaturie (NSH). AWMF (2019).
  • Seitz, C. et al. S2k-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis. Urol. 58, 1304–1312 (2019).
  • Sunderkötter, C. et al. S2k‐Leitlinie Haut‐ und Weichgewebeinfektionen. Auszug aus „Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – Update 2018“. JDDG: J. Dtsch. Dermatol. Ges. 17, 345–371 (2019).
  • DEGAM. S3-Leitlinie Brennen beim Wasserlassen. AWMF (2018).
  • DGU. S3 Leitlinie Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF (2017).
  • Hofmockel, G. & Frohmüller, H. Ausgewählte urologische Notfälle. Dtsch Arztebl 99, 2780–2791 (2002).

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