Killer
Synkope als Symptom kritischer Erkrankung, insb.:
- Myokardinfarkt
- Lungenembolie
- Akute Blutung
- Sepsis
- Aortensyndrom
- Instabile Herzrhythmusstörung (Tachykardie / Bradykardie)
Red Flags
Hinweise auf Hochrisiko-Synkope:
- Synkope bei Belastung oder im Liegen
- Palpitationen, AP oder Dyspnoe, direkt vor oder nach Synkope
- Plötzlicher (Herz-)Tod in der Familie
- Bekannte KHK/Herzinsuffizienz
- EKG-Auffälligkeiten - s. Synkopen-EKG
- Auffällige Vitalwerte (insb. Hypotonie)
- Anhaltende Beschwerden (und anhaltend auffällige Vitalwerte!)
Erste Schritte
- Synkope oder nicht-synkopaler Bewusstseinsverlust (bzw. epileptischer Anfall)?
- Hinweise pro konvulsive Synkope (vs epileptischen Anfall): Rasches Wachwerden nach Kollaps (keine postiktale Phase), "10-20 Regel" - s. unten
- Synkope als Zeichen kritischer Erkrankung? (Anamnese und klinischer Zustand!)
- Hochrisiko-Synkope? (Kardiale Synkope, Red Flags?)
- Labor: BGA (Elektrolyte, Hb, Glukose, Lactat);
falls keine klare Niedrigrisiko-Synkope zumindest plus Blutbild, Niere, CRP - 12-Kanal-EKG (bei jeder Synkope!)
- Strukturierte EKG-Befundung (“WOBBLERR”) - s. unten
- EKG-Monitoring in Notaufnahme nutzen: Rhythmusstörungen? Bradykardie? Tachykardie?
- Labor: BGA (Elektrolyte, Hb, Glukose, Lactat);
Tipps
- Oft werden Synkope und epileptischer Anfall verwechselt, da auch bei Synkopen initial “Zuckungen” der Extremitäten auftreten können (sog. konvulsive Synkope) → Rettungsdienst/Anwesende befragen!
- Präsynkope (Beinahesynkope) und "echte" Synkope haben das selbe Risiko - gleiche Abklärung und Risikostratifizierung
- >30% aller Synkopen bleiben in ihrer Genese unklar und sind oftmals nicht in der Notaufnahme abschließend zu klären.
Ziel der Notfallmedizin primär: Gefährliche Synkopen „herausfischen“ - KEINE Synkope ohne Anamnese, 12-Kanal-EKG und BGA entlassen!
Fokus Präklinik
- Red Flags prüfen, Killer aktiv erwägen
- Erste Schritte, insb.:
- Anamnese: Synkope? Krampfanfall? Hochrisiko-Symptome?
- BZ
- 12-Kanal-EKG (gefährliche Ursache für Synkope?)
- Transportziel: Klinik mit Innerer Medizin + Monitoring-Kapazität
- Niedrigrisiko-Synkope (oder Präsynkope) nur bei Beschwerdefreiheit nach individueller Einschätzung ggf. vor Ort belassen: Keine Red Flags, kein V.a. „Killer“, unauffällige Untersuchung, kein Hinweis auf Blutung oder Elektrolytstörung, Blutzucker normwertig, 12-Kanal-EKG unauffällig
Synkope oder nicht?
Begriffsdefinitionen TLOC, Synkope, Kollaps u.A.
„TLOC“ (Transient Loss of Consciousness)
= Überbegriff für kurzzeitigen Bewusstseinsverlust
- Synkope = kurzzeitige zerebrale Hypoperfusion mit Tonus- und Bewusstseinsverlust mit vollständiger Erholung!
- Prä-Synkope („Gefühl, gleich bewusstlos zu werden“): Ähnliche Prognose wie „echte“ Synkope.
Die Frage „Waren Sie bewusstlos?“ hilft daher meist nicht weiter. - Kollaps = kurzzeitiger Verlust des Muskeltonus ohne Bewusstseinsverlust (oft in der Notaufnahme nicht sicher von Synkope zu unterscheiden)
Nicht-synkopaler „TLOC“
- Neurologische Genese (z.B. Krampfanfall, TIA, ICB/SAB)
Meist mit fokalneurologischem Defizit oder prolongierter Vigilanzminderung - Metabolische Genese (Hypoglykämie, Hypoxie, Hyperkapnie)
- Intoxikation
- Psychogene Pseudosynkope / Kataplexie (Ausschlussdiagnose!) → s. psychische Probleme
Allgemeiner Schwächezustand
- s. Reduzierter Allgemeinzustand / Delir
- s. Muskelschwäche (generalisiert, evtl. aufsteigend)
Synkopen-Formen
Reflexsynkope („neurokardiogene Synkope“ - meist Niedrigrisiko)
Typische Prodromi: Schwitzen, Hitzegefühl, Übelkeit, Blässe
- Vasovagale Synkope (u.a. bei Angst, Schmerz, langem Stehen, Valsalva-Manöver (Krafttraining))
- Situative Synkope (u.a. nach Husten, Lachen, Miktion, Defäkation, Erbrechen, Niesen, Schlucken = jeweils durch verminderten venöser Rückstrom)
- Karotissinussynkope (Karotis-Sinus-Hypersensitivität → typisch: bei Kopfdrehung/Reklination, enger Krawatte, Rasieren, Z.n. Carotisintervention, ältere Patient:innen)
Orthostatische Synkope
Typisch: Synkope bei raschem Aufstehen, ggf. sogar bei raschem Aufsetzen
- Orthostatische Dysregulation
- Volumenmangel (absoluter Volumenmangel, z.B. bei Erbrechen, Dehydratation, Diarrhö aber auch bei Hämorrhagie (z.B. Gi-Blutung), sowie „relativer“ (distributiver) Volumenmangel bei Sepsis, Anaphylaxie)
- (Neue?) Medikamente, z.B. Antihypertensiva, Betablocker, Psychopharmaka…
Kardiale Synkope (Hochrisiko-Synkope)
Mögliche Prodromi: Palpitationen, Thoraxschmerz, Dyspnoe
- Arrhythmien (z.B. tachykarde Rhythmusstörungen wie (intermittierende) ventrikuläre Tachykardie oder Bradykardie (z.B. höhergradiger AV-Block))
- Strukturelle Herzkrankheit (nicht adäquate Reaktion auf Bedarf z.B. bei Aortenklappenstenose, kardiale Dysfunktion bei Myokardinfarkt)
- Lungenembolie
- Aortensyndrom
Konvulsive Synkope
Potenziell jede Synkopen-Form kann infolge temporärer zerebraler Hypoxie initial oft einige krampfartige Entäußerungen zeigen. So wird aus einer Synkope rasch ein "V.a. Krampfanfall“, mit potenziellen Konsequenzen, wie umfangreicher neurologischer Diagnostik bis hin zu Fahrverboten bei V.a. Epilepsie.
Differenzierung via Anamnese (bekannte Epilepsie mit "typischer" Sympomatik?) und:
- Rasches Wachwerden nach Kollaps spricht für Synkope und gegen epileptischen Anfall (hier fast immer postiktale Phase). Anwesend Gewesene befragen!
- "10-20 Regel": Weniger als 10 beobachtete "Zuckungen" sprechen für Synkope, mehr als 20 Zuckungen hochwahrscheinlich für Krampfanfall. Hier sind die Auskünfte der Zeugen sehr hilfreich.
- Lateralerer Zungenbiss: Oft erwähnt, Evidenz recht eingeschränkt. Pragmatisch: Zungenbiss alleine ist für Differenzierung nicht hilfreich; lateraler Zungenbiss spricht (eher) für Krampfanfall.
Unterschiedliche Morphologien bei Synkope
Eindrückliche Beispiele von Synkopen und deren sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen bietet ein mittlerweile "klassisches" Video der Universität Berlin, bei dem bei (gesunden) Studierenden im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie Synkopen induziert wurden: →Syncope (Youtube)
Hochrisiko-Synkope
CHESS-Kriterien
Nach San Francisco Syncope Rule (→ MDcalc); Hinweis auf gefährliche Differenzialdiagnose:
Congestive Heart Failure History (bekannte Herzerkrankung)
Hämoglobin <10g/dl bzw. Hämatokrit <30% (Anämie)
EKG Veränderungen
Systole unter 90mmHg bei erster Messung in Notaufnahme (Hypotonie)
Shortness of Breath (Dyspnoe vor oder nach Synkope)
Kriterien nach ESC
Synkope - Hochrisiko-Kriterien nach ESC
Hochrisiko-Kriterien nach ESC 2018 | |
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Auffällige Anamnese
| Auffälliges EKG
|
Auffällige Vorerkrankungen
| |
Auffällige Untersuchung
|
Angepasst nach ESC-Leitlinie Synkope 2018
Risiko-EKG
Merkhilfe für Risiko-EKGs bei Synkope: „WOBBLERR“:
Der Algorithmus läuft von „links nach rechts“ im EKG - von P zu T.
Zusätzlich nach Zeichen einer akuten Ischämie oder bedrohlichen Rhythmusstörung suchen.
WPW (Deltawelle oder PQ <120ms)
Obstructed AV (AV-Block II° oder III°)
Block (bi-/trifaszikulärer Block, neuer LSB/RSB)
Brugada-Syndrom
Left ventricular hypertrophy (linksventrikuläre Hypertrophie)
Epsilon-Wave (bei arrhythmogener rechtsventrikulärer Kardiomyopathie ARVCM)
Repolarisation abnormality (inbesondere Long-QT-Syndrom)
Right heart strain (Zeichen der (akuten) Rechtsherzbelastung)
Strukturierte EKG-Befundung bei Synkope
EKG-Aspekt | Pathologischer Befund | Normalbefund |
---|---|---|
Herzfrequenz | Bradykardie (<50/min.) Tachykardie (>110/min., besonders bei >140/min.) | Rhythmischer, normofrequenter Sinusrhythmus (bzw. arrhythmisch bei bekanntem Vorhofflimmern |
PQ-Strecke | Wechselnde PQ-Abstände Verkürzte PQ-Strecke (<120ms) | PQ-Strecke 120-200ms, |
QRS und Lagetyp | Blockbild QRS ≥120ms Bifaszikulärer Block (LAHB+RSB / LPHB+RSB) oder inkompletter trifaszikulärer Block (RSB+LAHB+AV-Block I°) V.a. Linksherzhypertrophie | Kein Blockbild, kein EKG-morphologisches Zeichen einer Hypertrophie (bzw. keine Veränderung bei bekanntem Block) |
ST-Strecke | Short-/Long-QT-Syndrom Brugada-Syndrom Charakteristische ST-Hebungen insb. V1/V2 (Typ I/II) Epsilon-Welle | QTc normwertig Endstrecken normal, kein Hinweis auf Brugada |
Risikostratifizierung
- Niedrigrisiko-Synkope
Typische Low-Risk-Synkope = „PPP-Synkope“
Low risk Position (Stehen), Provokation (Reiz), Prodromi (u.A. „Schwarzwerden“)- Typische Niedrigrisiko-Zeichen:
- "Klassische Prodromi": Schwitzen, Hitzegefühl, Übelkeit, Schwarzwerden vor Augen
- Synkope im Stehen
- Synkope nach Reiz/Provokation (Schmerz, sonst. unangenehmer Geruch/Geräusch…)
- Getriggert: Husten, Defäkation, Miktion, Lachen, Schlucken, Niesen
- Kopfrotation / Druck auf Karotissinus (Krawatte, Rasieren)
- Während Mahlzeit
- Nach (unauffälliger) EKG/BGA, Anamnese und bei beschwerdefreien Pat. → Entlassung möglich
- Typische Niedrigrisiko-Zeichen:
- Intermediär-Synkope/unklare Ursache
- Individuelle Risikoabwägung mit Patient:in, weitere Abklärung stationär vs. ambulant
- Hochrisiko-Synkope (s. oben)
- V.a. kardiale Hochrisiko-Synkope
→ Stationäre Aufnahme, Monitor-/telemetrische Überwachung und
falls verfügbar bzw. Expertise vorhanden frühzeitig fokussierte Echokardiografie (EF? Vitien?) - Synkope als Zeichen einer gefährlichen Differenzialdiagnose (s.o.)
→ kausale Therapie
- V.a. kardiale Hochrisiko-Synkope
Weiterführende Literatur und Links
Interessante Links (frei zugänglich)
- Nerdfall 16: Synkopen und TLOC (Nerdfallmedizin 2021)
- Leitlinie Synkopen (AWMF 2020)
- Nerdfacts Synkope (Nerdfallmedizin 2019)
- Synkope und Kollaps (Nerdfallmedizin 2018)
- Can't miss ECG (ALIEM 2018)
- WOBBLER-ECG (Resus.me 2017)
Literatur
- Baumgartner, T. R. & Surges, R. Synkope, epileptischer oder psychogener Anfall? Der Weg zur richtigen Diagnose. Notfallmedizin up2date 19, 141–147 (2024).
- Diehl, R. S1-Leitlinie Synkopen. AWMF (2020).
- Christ, M. & Bruno, R. R. Notfallpatient mit Synkope. Notf. Rettungsmedizin 22, 251–269 (2019).
- Sayk, F., Frimmel, M., Dodt, C., Busch, H.-J. & Wolfrum, S. Passagere Bewusstlosigkeit. Med. Klin. - Intensiv. Notfallmedizin 114, 410–419 (2019).
- Bruno, R. & Christ, M. Synkope oder „… auf einmal war ich weg“. Notaufnahme up2date 1, 27–43 (2019).
- Brignole, M. et al. 2018 ESC Guidelines for the diagnosis and management of syncope. Eur. Hear. J. 39, 1883–1948 (2018).
- Nemeth, B., Weber, E. & Huber, L. Synkope – Eine praktische Abklärungsstrategie. DMW - Dtsch. Med. Wochenschr. 143, 1564–1572 (2018).
- Steinfurt, J., Biermann, J., Bode, C. & Odening, K. E. The Diagnosis, Risk Stratification, and Treatment of Brugada Syndrome. Dtsch. Ärzteblatt Int. 112, 394–401 (2015).